Corona integral oder: Droht das 4. Reich?

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Besprechung von Gotthilf Freudenreichs Text – hier Download als PDF


Eben stolpere ich über einen ganz wunderbaren Text von Gotthilf Freudenreich (Danke Willi), der einige der gigantischen Ungereimtheiten unserer Zeit sprachlich auf den Punkt bringt.

Als Replik auf einen bei Teleoplis erschienenen Text von Robert Engert und daher Bezug nehmend auf Ken Wilber uns seine „integrale Theorie“, entfaltet der Text von Gotthilf Freudenreich (schöner Name übrigens) aber vor allem jenseits der Einleitung sehr klare und wertvolle Gedankengänge zum Thema Corona und der damit zusammenhängenden Angst vor Faschismus.

Es ist ja ein klein wenig zum verzweifeln: während etwa 80% der Deutschen medienkonform die Faschismus Gefahr in ein paar dahergelaufenen Reichsbürgern sehen und reflexartig auf alles eindreschen und etikettieren, was irgendwie nicht völlig Obrigkeits-loyal ist, sieht ein kleiner Teil der Bevölkerung (einschließlich mir selbst) die reale Gefahr von totalitären Tendenzen eher im Voranschreiten und „Vermarkten“ einer globalen Überwachungsarchitektur, dem Abbau von Bürgerrechten, technokratischer Finanzpolitik, dem gezielten informellen Krieg um Emotionen (und Meinungen) aller Menschen bzw der Gesellschaft als solchen und nicht zuletzt in einer Blut-leeren Verwaltungspolitik eines im Endstadium liegenden Katastrophenkapitalismus, der, anstatt dem Tod endlich ins Auge zu blicken, weiterhin versucht, ausbeuterische Verhältnisse zu verschleiern, Konzerninteressen zu hofieren und – um neue Märkte und Profite zu erschliessen – selbst nicht davor zurückschreckt, den menschlichen Körper zunehmend als „Target Area“ seiner Produkte (vgl Impfungen) ins Feld zu führen.

Ich möchte hier nun einige der mir wichtig erscheinenden Stellen herausstellen und verweise ansonsten auf das oben verlinkte PDF.

Um es mit Maslows Bedürfnispyramide zu beschreiben: Sind die materiellen Interessen des Arbeiters befriedigt und hat er ein Gefühl von Sicherheit, ist er auch als Mensch zufrieden – Selbstverwirklichung steht nicht auf seinem Programm. Das hatte Adolf Hitler instinktiv begriffen und den Arbeitern die entsprechenden Angebote gemacht. Deshalb haben sie 1933 in Scharen statt der Kommunisten die NSDAP gewählt.

G. Freudenreich

Ergänzen möchte ich hier, dass sich die Daten darüber, was der „gemeine Mensch“ denkt und fühlt seit Hitlers Zeiten natürlich in Exorbitante gesteigert haben. Regierungen und Private wissen heute besser denn je, mit welchen Mitteln und welchen Versprechungen sie den Menschen ihre Projekte idealerweise „verkaufen“ können. Gesundheitsminister Spahn, seines Zeichens mit einem Werber verheiratet, beweist mit PR Kampagnen in nie dagewesenem Ausmaß eindrucksvoll, dass er begriffen hat, wie er für seine Agenda Akzeptanz schafft. Wir erinnern uns an seinen (sinngemäßen) Ausspruch: „Wir brauchen keinen Zwang, wo Freiwilligkeit zum Ziel führt:“

Politik, Leitmedien und Wirtschaft vertreten überwiegend die rationale Ebene (E5) und stellen die meisten Corona-Dramatisierer. Die ihnen gegenüberstehenden Corona-Maßnahmen-Skeptiker werden von Vertretern der pluralistisch-transrationalen Ebene E6 angeführt, die auch einen großen Teil der Teilnehmer der Demonstrationen ausmachen.

G. Freudenreich


Die Analyse nach dem Wilberschen Prinzip ist möglicherweise zutreffend, es wäre aber irreführend, den Mainstreamern („Corona Dramatisierern“) die Ratio zuzuschreiben und den Maßnahmen-Kritikern lediglich das „Überrationale“. Sicher: das „Überrationale“ ist bei den Kritikern zweifelsfrei mehr gegeben als bei den Dramatisierern (der Autor nimmt später noch Bezug auf die emotionale Abgetrenntheit der Dramatisierer und das wichtige Thema Tod), dennoch sind viele der Argumente der Kritiker rein rationaler Natur. Es ist absolut rational, irrationale, nicht evidenzbasierte und nachweislich schädigende Gesetze zu kritisieren, bzw Verhältnismäßigkeit und Entscheidungsgrundlagen einzufordern, wenn demokratische Grundpfeiler angegriffen werden..

Ich gehe mal gutwillig davon aus, dass die Ignoranz der politischen Führungsriege gegenüber einem großen Teil der Bevölkerung ihrer eigenen Bewusstseinsebene E5 und nicht der Devise „Teile und herrsche“ entspringt.

G. Freudenreich

Sympathisch, wenn auch nicht unbedingt überzeugend. Der Autor geht später im Text noch ausführlich auf die Mechanismen ein, welche das natürliche Verfahren auf dem Weg zu politischer Macht ausmacht (Konkurrenzkampf, Opportunismus, etc) – die Ebene E5 wird als die Ebene des „Rationalen“ beschrieben, meiner Ansicht nach also durchaus passend zu „Teile und herrsche“.

Die pluralistisch-systemischen Führer der Corona-Maßnahmen-Skeptiker werden – da sie
Vertreter der ersten integrierenden Ebene E6 sind – nicht müde, einen öffentlichen(!) interdisziplinären(!) wissenschaftlichen(!) Dialog anzumahnen, der eben diese verschiedenen Perspektiven berücksichtigt – einschließlich der medizinischen Sicht.

G. Freudenreich

So ist es – eine Tatsache, die nachdenklich macht, da man sie ja bisher eher verfemt, anstatt den Dialog zu wagen.

Die integrierende Offenheit der pluralistischen Ebene ist auch einer der Gründe, weshalb
die Querdenken-Organisatoren sich zwar gegen „rechts“ (also die prärationalen Ebenen
E2-E3) verbal abgrenzen, diese aber nicht verdammen und ausschließen, wie es der rationale Mainstream (E5) mit Angehörigen sowohl niedrigerer als auch höherer Ebenen tut
(und alle Ebenen vor ihm auch getan haben – das liegt in der Natur ausschließender
Ebenen). Dies hat u.a. mit ihrem ethischen Anspruch von der Gleichwertigkeit aller Menschen zu tun, der allerdings verhindert zu erkennen, dass es durchaus Entwicklungsunterschiede gibt (ich würde meinem minderjährigen Sohn auch nicht aus Gleichwertigkeitsgründen den Autoschlüssel geben.) Herr Engert unterstellt ähnlich den Leitmedien, den Querdenkern und Skeptikern eine Einseitigkeit und Absolutismus, den ich in ihren eigenen, „alternativen“ Medien, die ich in der letzten Zeit gleichermaßen verfolge, nicht entdecken kann, sondern eher ein Meinungsspektrum von E3 bis E6, wobei letzteres
überwiegt. (Vermutlich gibt es auf speziellen Seiten auch richtig faschistoide Meinungen
(E2), doch auch meine Lesezeit ist nicht unendlich.)

G. Freudenreich

Herr Freudenreich drückt hier sehr schön aus, was auch ich 2020 bei den Veranstaltungen beobachtet habe. Die Bewegung ist geprägt von einer grundsätzlichen Offenheit dem Menschen gegenüber. Jeder Mensch, egal welcher Coleur, ist ersteinmal eingeladen, so zu sein, wie er gerade ist. Die Bewegung begreift sich selbst als in dem Sinne neuartig, dass niemand ausgeschlossen werden soll. Der Vorwurf der strategischen Querfront ist gewissermassen absurd, da es eben nicht politisches Kalkül, sondern eine Offenheit gegenüber allen Menschen ist, sozusagen eine höhere Bewusstseinsebene, die dazu führt, dass man nicht in den Kampf geht, sondern ins Vertrauen. Ich bin mir sicher, dass die Bewegung nicht durch rechte Ideologien korumpierbar ist, was nicht heisst, dass keine Fehler gemacht wurden. Es wurden Fehler gemacht, die dann ein schlechtes Licht geworfen haben, aber man muss auch im gleichen Satz klar machen, dass JEDE Bewegung systematisch nach Fehlern abgesucht wird, die dem aktuellen System gefährlich werden könnte. Es ist gewissermaßen kaum möglich, KEINEN Fehler zu machen, da die Menschen, die sich neu politisieren, komplette Amateure sind. Zudem ist auch die Möglichkeit gegeben, dass gezielt mediale Bilder produziert werden, um Bewegungen zu diskreditieren (vgl. „Sturm auf den Reichstag“)

Die schamanisch, buddhistisch bzw. hinduistisch angehauchte transrationale New-Age-Spiritualität mag zwar unpolitisch und naiv daherkommen, hat inhaltlich zu rechts aber so gut wie keine Affinität. Ihre Vertreter sind entweder Alt-68er bzw. deren Kinder, überwiegend Akademiker mit einem hohen Bildungsgrad, die außerdem mit der Friedensbewegung, der Emanzipationsbewegung, der Ökobewegung und verschiedenen anderen postmodernen sozialen Bewegungen verbunden sind. Allein die vielen internationalen Anleihen, aus denen ihre E6-Patchwork-Spiritualität besteht und
ihre eigene Welterfahrenheit, sind mit einer völkisch-totalitärer Einengung nicht kompatibel. Hier liegt auch der wesentliche Grund, weshalb sich die Geschichte nicht so einfach wiederholen wird: Die pluralistische Bewusstseinsebene E6 ist in den 60 Jahren des letzten Jahrhunderts emergiert als Antwort auf Vietnamkrieg, Rassendiskriminierung
(USA), Notstandsgesetze (BRD), industrielle Naturzerstörung, mangelnde Aufarbeitung
der NS-Zeit und ähnlichem. Sie ist deshalb sehr stark von ethischen Grundsätzen geprägt,
die den früheren Ebenen abgehen, zum Beispiel der Gleichberechtigung aller Menschen
und der Natur, Menschenrechten, Freiheit des Selbstausdrucks, sexuelle Freiheit etc. In
der Weimarer Republik gab es diese pluralistischen Kulturell-Kreativen als Einzelpersonen, aber noch nicht als Massenbewegung oder eigene Klasse. Es ist ziemlich sicher, dass
ihre Vertreter sich bei einer Übernahme der Querdenken-Bewegung durch Neofaschisten
(E2) oder Nationalisten (E3), daraus zurückziehen und eine Gegenposition beziehen würden, was sehr schnell zu einem Bedeutungsverlust bis hin zur Auflösung führen würde.
Auf der anderen Seite erlebe ich einen recht engen Meinungskorridor bei den etablierten
Medien, wo ein Prof. Streeck und Markus Lanz die gerade noch verkraftbare Grenze
darstellen. Die rationale Ebene E5 denkt bevorzugt in linearen Ursache-Wirkung-Zusammenhängen und nicht systemisch und hat deshalb keinen Sinn dafür, dass soziale
Sicherheit (UR), psychische Gesundheit (OL) und vitaminreiche Ernährung (OR) die körperliche Immunität (OR) stärkt und damit eine Impfung überflüssig machen könnte: trotz
der salutogenetischen Wende in der Medizin, die ja schon einige Jahrzehnte alt ist, ist
die offizielle Perspektive rein pathologisch-medizinisch. Ein rationaler, mit einem Tunnelblick auf seine Viren schauender Wissenschaftler (E5) kann zwar sehr genau die Wirkung des Virus auf den Körper beschreiben – sich also innerhalb eines(!) Quadranten
bewegen – aber vermutlich nicht systemisch-interdisziplinär (E6) in mehreren Quadranten gleichzeitig denken. Deshalb ist es ihm kaum möglich, Virus-Natur-Individuum-Gesellschaft als ein homöostatisches System zu verstehen, welches aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das Erkennen des gesamten Systems macht es aus pluralistischer Sicht dagegen zwingend notwendig, einen multidisziplinären Ansatz einzufordern, also an allen Quadranten zugleich anzusetzen – nicht nur rechts oben! Genau das fordern die Maßnahmenkritiker, von denen viele einen Hochschulabschluß haben und deren Leitfiguren wie Wodarg, Bhakdi, Schiffmann oder Ioannidis auch noch vom Fach sind (und die ich zu einem großen Teil auf E6 verorte). Das die Gegenseite nicht erkennen kann, dass die Pluralisten wenigstens teilweise recht haben, liegt also möglicherweise nicht an bösem Willen oder wirtschaftlichen Erwägungen, sondern an der (kognitiven) Begrenztheit der rationalen Ebene E5.

G. Freudenreich

Wo findet Prä-Trans-Verwechslung statt? Durchaus bei den Querdenkern, die es aber
zumindest indirekt thematisieren, wie schon im Namen „Querdenken“ deutlich wird: Ein
magischer Nazi (E2) kann aus Heimattümelei genauso gegen die rücksichtslose Zerstörung der Natur durch die neoliberale E5-Wirtschaft sein, wie ein mythischer Christ (E4)
gegen die Zerstörung der Schöpfung Gottes, oder wie ein systemisch-pluralistischer Tiefenökologe auf E6, der das globale ökologische Gleichgewicht im Blick hat. Und auch
ein medizinisches Problem wie eine Pandemie ist von sich aus erst einmal nicht „links“
oder „rechts“, sondern betrifft verschiedene Menschengruppen auf verschiedene Weise.
Damit ist eine „Querfront“ aus integraler Sicht sogar berechtigt: Es ist nur eine andere
Bezeichnung für ein Zweckbündnis, wenn Vertreter verschiedener Ebenen aus ihren je
eigenen Motiven ablehnen, was die Vertreter einer weiteren Ebene tun. Der historische
Vorläufer sind die bürgerlichen Revolutionen Europas, wo sich das Bürgertum mit den
Bauern gegen Adel und Klerus verbündet hat. Richtig integral wäre es allerdings, wenn
sich zumindest die führenden Köpfe der Unterschiedlichkeit der dahinterstehenden Weltsichten bewusst wären! Möglicherweise sind sie es – ohne es jedoch mit dem integralen Modell (E7) zu begründen.
Die Prä-Trans-Verwechslung findet aber natürlich auch auf der Seite der Corona-Dramatisierer (überwiegend E5) statt, indem die Leitmedien prärationale und transrationale
Gegner des Lockdowns in einen Topf werfen, umrühren, und sich daraus ihre „Eso-Faschisten“, „Covidioten“ „Verschwörungstheoretiker“ etc. basteln. Es ist tatsächlich so,
dass es in der Skeptiker-Bewegung viele Vertreter irrational-prärationaler Ansichten gibt,
auch spiritueller – da gibt es nichts drum herumzureden. Das Problem besteht auf der
Seite der Corona-Dramatisierer darin, dass sie die Gegenseite nicht einmal indirekt differenzieren, sondern alle Kritiker in eine Schublade stecken, was bei der aktuellen SPD-Vorsitzenden auch schon mal in eine Publikumsbeschimpfung ausarten kann. Bertold
Brechts Antwort wäre gewesen: „Wenn Ihnen das Volk nicht passt: Wählen sie sich doch ein anderes!“.

G. Freudenreich


Spiritualität und Tod
Ein zusätzliches Manko der rationalen Bewusstseinsebene E5 ist es, dass auf dieser Stufe
die kognitiven Verdrängungsmechanismen am stärksten sind, so dass ihre Vertreter kaum
Zugang zu spirituellen Erfahrungen haben. Deshalb sind ihre Vertreter zumeist Atheisten
oder Materialisten und werfen undifferenziert prä- und transrationale Spiritualität in einen Topf oder tun jeden Vertreter anderer Ebenen, der Zugang zu subtileren Schichten
des Seins hat, als „reaktionären Eso-Spinner“ ab. Sie sehen nicht, dass sich darin ihr eigenes Abgeschnitten-Sein von einer tieferen, dem Leben Sinn gebenden Dimension spiegelt. Sie selbst versuchen dieses spirituelle Loch mit einer exzessiven Jagd nach materiellen Gütern zu stopfen und treiben damit den hemmungslosen Ressourcenverbrauch auf
Kosten des Planeten weiter an.

G. Freudenreich

Volltreffer! Die Zeit ist reif für eine neue Spiritualität, aber viele Menschen sind noch nicht bereit dazu. Meine Vermutung ist, dass die perfiden Angriffe auf Andersdenkende daherrühren, dass es eine getriggerte Angst gibt, eine Angst davor, sich möglicherweise dem eigenen Trauma stellen zu müssen, wenn eine Zeit heranbricht, die über das rein Rationale hinausgeht. Die Angst vor der Herzöffnung, könnte man meinen. Es ist eine unglaubliche Härte und Schroffheit spürbar, eine Art von Verachtung, die den Protestlern entgegen gebracht wird. Dahinter muss sich etwas verbergen. Freudenreich konkretisiert:

Ich verwette meinen Kopf darauf, dass die emotionale Heftigkeit, mit der der Kampf von Corona-Dramatisierern gegen die Skeptiker geführt wird, etwas mit verdrängter bzw. halbbewusster Todesangst zu tun hat. Während die neoliberale Megamaschine trotz klimatischer Todesdrohung ungebremst weiter rollt – weil diese (noch) abstrakt ist und in der Zukunft liegt – stehen sofort alle Räder still, wenn die Drohung konkret wird: „In zwei Wochen kannst Du tot sein – und zwar genau
Du – da hilft Dir auch Dein Geld und Deine Macht nichts!“ Der Tod, der so weit weg
schien, ist plötzlich sehr, sehr nah. Das ist die eigentliche, existentielle Botschaft des
Virus: Beschäftige Dich mit der Endlichkeit, dem Tod! Nur Menschen, die darauf eine
Antwort haben, beispielsweise durch eigene spirituelle Erfahrungen, können etwas gelassener mit dem Thema umgehen und sind deshalb eher auf Seiten der Lockdown-Skeptiker zu finden. Insofern ist der große Anteil spiritueller Menschen auf dieser Seite also kein Zufall, sondern gesetzmäßig – genauso wie ihre Abwesenheit auf der anderen.

G. Freudenreich

Was Herrn Engert [und viele Deutsche, A.dV.] besonders erschüttert, ist, dass viele Demonstranten offensichtlich generelle Zweifel an unserem wirtschaftlichen und politischen System haben. Parolen wie „Merkel muß weg!“ scheinen ihm regelrecht Angst zu machen. Gedanken, dass es mit der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland nicht so weit her sein könnte, wie die Leitmedien permanent behaupten, ja das der einstmals progressive Kapitalismus auch in Deutschland inzwischen in eine dekadente Spätphase umgekippt ist, sind ihm fern.

G. Freudenreich

Ja, auch diese Beobachtung teile ich sehr. Trotz anhaltender Krisen und entsprechender Literatur der letzten Jahre („Schock Doctrine“ Noemi Klein, „Kampf dem Kamikaze Kapitalismus“ David Graeber, „Das Kapital“ Piketti „Confessions of an economic hitman“ John Perkins usw), trotz Populisten wie Bolsonaro und Trump auf den internationalen Bühnen, durch welche offensichtlich wird, dass innerhalb von „Demokratien“ Scharlatanen Tür und Tor offen stehen – tut man geradezu so, als würde der internationale Korruptionspoker an der deutschen Grenze halt machen. Es ist doch eher offensichtlich, wie die Guttenbergs und von der Leyens sich ihre Karrieren erschleichen, wie Konzernpolitik betrieben und Bankschulden auf Steuerzahler abgewälzt werden. Dennoch sind die Deutschen unerschütterliche Obrigkeitsloyale, gehorsam und ohne zu hinterfragen wird alles mitgemacht und abgenickt. Denn „uns gehts ja besser als den anderen“ – und dahinter versteckt sich auch immer eine Schippe Stolz, scheint mir. Der Deutsche denkt möglicherweise, er sei was Besseres und gefällt sich selbst im Angesicht seines moralischen Bankrotts oder es ist einfach sein Wohlstand, der ihn zum Mitlaufen verführt.

Man kann zwar gut damit argumentieren, dass Deutschland im Verhältnis zu anderen Staaten wenig korrupt, wenig aggressiv, wenig totalitär, wenig unsozial und wenig umweltverschmutzend ist. Es zeugt in meinen Augen aber von einer politischen Blauäugigkeit ganz anderer Art, wenn
man im Angesicht der immer näherrückenden Umweltkatastrophe, die vor allem das
Ergebnis der kapitalistischen Wirtschaftsweise als solcher ist – so dass Deutschland zumindest indirekt daran Anteil hat – jedes Hinterfragen dieses Systems als verwerflich ansieht. Gegen das, was voraussichtlich auf uns zukommt, wird Corona ein Witz gewesen
sein, und es muß erlaubt sein, im Interesse des Überlebens der menschlichen Art die
Systemfrage zu stellen: Können wir uns einen immer krebsähnlicher agierenden Kapitalismus noch leisten?

G. Freudenreich

Nein, können wir nicht. Jeder Tag „Weiter so“ ist einer zu viel. Wir brauchen einen Reset und zwar einen ideologischen Paradigmenwechsel: wir müssen das Zeitalter des Friedens und des Überflusses einläuten. Die Idee des Weltfriedens in die Parlamente tragen. Irgendjemand muss den Anfang machen. Das Spiel verändern. Mit „ich bringe meine Schäfchen ins Trockene“ kommen wir nicht weiter. Es reicht nicht, den Sozial Darwinismus als albern zu erkennen, aber gleichzeitig strukturell ungerechte Strukturen weiter beizubehalten und noch auszubauen. Identity Politics und Greenwashing helfen den Verlierern so wenig wie ein Applaus für Pflegekräfte. Wir müssen unsere Gesellschaft sozial gerecht umbauen, Fairness und Transparenz als oberste Priorität und eine Gesetzlich geregelte Gehaltsspreizung von maximal 1:20. Das bedeutet, dass, wenn der Ärmste 1000 Euro im Monat zur Verfügung hat, der Reichste maximal 20.000 zur Verfügung haben darf – alles Überschüssige geht direkt in die Solidarkasse: Diese regelt zeitgemäße Bildung, Gesundheit, Grundeinkommen, ausreichend Kitaplätze etc. Ein echtes bedingungsloses Grundeinkommen von 1500€ für alle Menschen Ü25 (ca 90 Milliarden €) , 0-5 Jährige erhalten 500€ 6-10 Jährige 600€ und 11-24 Jährige 750€. Finanziert wird dies durch Einsparungen der Transferzahlungsverwaltunsapparates und eine Solidarsteuer auf alle Dienstleistungen und Produkte von 2,25% (90000000000 , also 90 Milliarden sind 2.25 % von 4000000000000, also 4 Billionen, entspricht ungefähr unser Bruttosozialprodukt). Weitere Ideen hier.

Diese allgemeine Krisensituation könnte ein guter Moment sein, die Frage zu stellen: Wie
soll es wirtschaftlich und politisch in diesem Land beziehungsweise weltweit weitergehen?
Und die Querdenken-Bewegung tut das. Dabei ist es noch sehr offen, welche Bedeutung
sie haben wird – vielleicht ist sie aufgrund ihrer politischen Heterogenität nur ein Strohfeuer. Aber es ist genau deshalb ziemlich sicher, dass sie weder einen kommunistischen Umsturz noch eine faschistische Konterrevolution auslösen wird.
Die Unfähigkeit, eine Metaposition einzunehmen und die Corona-Krise aus einem gebührenden Abstand in alle Richtungen zu betrachten, macht Ronald Engerts Artikel trotz
einiger richtiger Einschätzungen meines Erachtens sehr einseitig. Es werden weder wirtschaftliche Interessen auf der Dramatisierer-Seite thematisiert noch der schleichende Angriff auf die Bürgerrechte, der schon viel früher begann und in der aktuellen Ungleichbehandlung von Assange und Nawalny seinen absurdesten Ausdruck findet: Während ein rechtsnationaler Nawalny zum Retter der Demokratie in Rußland stilisiert wird und alles Erdenkliche möglich gemacht wird, um sein Leben zu retten (was ich ihm herzlich wünsche), schaut das demokratische Deutschland seelenruhig zu, wie in einem Kernland des „Wertewestens“ gegen einen eigenen Regimekritiker ein Schauprozeß geführt wird – psychische Folter eingeschlossen – wie ihn sich nicht einmal China leisten würde. Implizit
übernimmt Herr Engert in seiner Einseitigkeit sogar eine Taktik des politischen
Mainstreams, der immer wieder mit Kampfbegriffen wie „Verschwörungstheoretiker“,
„Nazis“ etc. deutlich macht, dass er sich mit einem Teil der Bevölkerung einfach nicht
auseinandersetzen möchte, indem er Corona-Skeptiker und „Rechte“ mit Wilhelm Reich
pauschal als „Kleinbürger“ abqualifiziert.

G. Freudenreich

Dem ist nichts hinzuzufügen. Oder wie Prof Rainer Mausfeld sagen würde: „Die Lüge hat sich wahrgelogen.“

Ja, es gehen faschistische – z.B. Neonazis (E2), nationalistische – z.B. Reichsbürger (E3)
und konservative (E4) Menschen bei den Querdenker-Demos mit bzw. veranstalten parallel ihre eigenen – beispielsweise die „Reichs“bürger vor dem – fast muß man schon
grinsen – „Reichs“tag. Wer genehmigt so etwas???. Das läßt sich nicht wegdiskutieren,
wobei die Medien mit ihrer deutschlandweiten Werbung „Das wird eine Demo von
Rechtsradikalen“ sicher dazu beigetragen haben, den Querdenken-Organisatoren mehr
Nazis und Reichsbürger auf den Hals zu hetzen, als aus eigenem Antrieb gekommen
wären. Weil die Ebenentheorien – egal, ob von Wilber oder von Spiral Dynamics – nicht
genügend bekannt sind, wird zwischen den drei Ebenen E2-E4 leider nicht genügend
differenziert. Und das pluralistische E6 läßt es zu bzw. will sich aufgrund der eigenen
eher pazifistischen Haltung (das integrierende E6 ist von Natur aus viel weniger aggressiv,
als z.B. das ausschließende E5) nicht dagegen wehren. Es grenzt sich lediglich verbal
gegen rechts ab und ruft ansonsten wie die Hippies 1968 nach „Peace, Love & Unity“.
Wilbers Unterteilung in linke und rechte Quadranten, innen und außen, ist auch da eine
Hilfe: Aufgrund des Vorhandenseins aller Ebenen in der erwachsenen Bevölkerung wird
es immer auch „Nazis“ geben: Menschen, die sich über Blutsverwandtschaft und ihre
Heimat definieren. Die gibt es auch in jedem anderen Land, nur dass sie, wenn die sozialen Spannungen nicht zu groß sind, eine (meist integrierte) Randgruppen darstellen:
Niemand regt sich über Schweizer Fahnen in Schweizer Kleingärten auf. In Deutschland
hatten Faschisten (E2) jedoch 12 Jahre lang die Macht über einen hochindustrialisierten
E5-Staat, und haben mit seiner Hilfe Verbrechen an der Menschheit verübt, wie sie ein
dieser Ebene entsprechender indigener Stamm niemals an anderen Stämmen verüben
könnte. Während indigene Stämme, die sich auch über Blutsverwandtschaft und Boden
definieren, sich mit ihrem Stammesnamen gewöhnlich als „Menschen“ bezeichneten,
und alle anderen Menschen dann „Nichtmenschen“ waren, wurde in der pathologischen
faschistischen Deformation daraus „Herren-“ und „Untermenschen“. Aus Stammesfehden wurde industrielle Tötung. Wir haben als Lehre aus dieser Vergangenheit – und das
ist auch gut so – eine Schuldkultur (UL) entwickelt, die sehr sensibel auf faschistische
Tendenzen reagiert. Diese Schuldkultur ist allerdings sehr selektiv: Wir gedenken regelmäßig 6 Millionen toter Juden, natürlich gleichfalls den amerikanischen, französischen
und englischen Kriegstoten und am Rande auch den toten Sinti und Roma. Mehr als die
Hälfte aller Opfer des Hitlerregimes – nämlich 27 Millionen „bolschewistische slawische
Untermenschen“, die durch Nazi-Deutschland sterben mussten8
, werden mit dem Hinweis, dass Stalin ja auch nicht viel besser war, weitgehend ignoriert. Stattdessen kooperiert die aktuelle Bundesregierung völlig unkritisch mit neofaschistischen Gruppierungenin der Ukraine, die schon im 2. WK mit der Wehrmacht kollaboriert hatten – von Schamkeine Spur. Was für eine Geschichtsvergessenheit! Was für ein Schatten oder zumindestein Messen mit unterschiedlichem Maß!

G. Freudenreich

Da man aus Gründen der Entwicklungsgesetzte aus einem Neonazi oder Reichsbürger
nicht „par ordre du Mufti“ einen pazifistischen Pluralisten machen kann, wie es sich die
Linken so gerne wünschen, bliebe nur, zu schauen, wie man sie gut in diese Gesellschaft
integriert. Das wird natürlich nicht funktionieren, solange eine Gesellschaft von Vertretern ausschließender Bewusstseinsebenen gelenkt wird: die bisherige Geschichte ist nicht
nur eine Geschichte von Ausbeutung oder Randgruppendiskriminierung, sondern im
Sinne des Wilberschen Entwicklungsmodells auch eine Geschichte der Unterdrückung
anderer Bewusstseinsebenen. Meine Erfahrung ist, dass es Wunder wirken kann, einem
Nazi auf einfache Weise die Bewusstseinsebenen zu erklären einschließlich der Stufe,
auf der er selbst steht. Dann wird aus einer magisch-rassistischen „Weltanschauung“, von
der man meinte, man hätte sie freiwillig gewählt, eine „Kinderkrankheit des Bewusstseins“, die man hinter sich läßt, wenn man psychisch erwachsen wird. Allein diese abstandnehmende Metaperspektive kann zu einer Weiterentwicklung oder zumindest Orientierung an höheren Ebenen führen – so dumm sind die dann doch nicht!10 Um hier
dem möglichen Vorwurf der Ebenen-Arroganz zu begegnen, möchte ich betonen, dass
erst das Erkennen und Benennen der Ebenen – die übrigens soziologisch bestens empirisch abgesichert sind – es möglich macht, diese Leute ernst zu nehmen und angemessenzu reagieren. Eine Ebenenignoranz, und sei es nur aus der wohlmeinenden Ansicht, die Anderen wären auf demselben Level wie man selbst, führt nur zu unmöglich erfüllbaren Forderungen an die Adressaten. Genau hier liegt der Unterschied von pluralistisch-E6: „Alle Menschen sind gleich …“ zu integral-E7 „… gleich viel wert, aber unterschiedlich weit entwickelt.“

G. Freudenreich

Faschismus als politische Struktur
In der allgemeinen Diskussion fällt mir immer wieder auf, dass kaum jemand die faschistische Gesinnung einzelner Menschen oder Gruppen (OL und E2) aufgrund ihrer niedrigen Bewusstseinsebene und den politischen Faschismus als Herrschaftsstruktur (untere Quadranten und E5) auseinanderhält. Horkheimer hat es auf den Punkt gebracht: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen!“: Der
Faschismus ist eindeutig eine politische Sonderform des Kapitalismus. Die Medien haben
es in den letzten Jahrzehnten erfolgreich geschafft, den Menschen einzureden, dass Faschismus und Kapitalismus nichts miteinander zu tun hätten, weshalb viele sich für gute
Menschen haltende Bürger über alles herziehen, was irgendwie nach rechts und Faschismus riechen könnte – bei gleichzeitiger Verteidigung oder stillschweigender Akzeptanz seiner sozioökonomischen Grundlagen. Dabei gilt: „Die Bürgerliche Demokratie ist die Herrschaftsform des Großkapitals, solange es die Diktatur noch nicht nötig hat!“ (unbekannt). Der wichtigste Wert der rationalen Ebene E5 ist Erfolg, der sich aufgrund der materiellen Orientierung dieser Ebene vorrangig monetär ausdrückt. Dafür sind ihm – wie
Marx schon vor 200 Jahren betonte: ALLE – Mittel der Herrschaft recht: „ab 300% Profit
geht er über Leichen“. Das heißt, dass der Kapitalismus aufgrund seiner sozioökonomischen Grundlagen tendenziell immer faschistoid ist, da eine Diktatur der Großbourgeoisie die größte Bewegungsfreiheit verschafft, wie man am Beispiel des faschistischen
Chile, dessen Wirtschaft direkt von den neoliberalen Chicago Boys dirigiert wurde
, eindrucksvoll sehen konnte. Dieser strukturelle Faschismus E5 kann sich zwar der Menschen auf den niederen Bewusstseinsebenen E2-E3 als Fußsoldaten bedienen, wie er es im 3. Reich getan hat, diese werden allein aber kaum fähig sein, über ihre lokalen Vereinigungen hinaus selbst einen strukturellen Faschismus als politisches System in einem High-Tech-Staat zu installieren, da derart komplexe Systeme eine höhere Intelligenz voraussetzen. Die Vorstellung, dass Hitler den Kapitalismus abschaffen wollte, entbehrt jenseits der Propaganda jeder geschichtlichen Grundlage – immerhin waren Banken und
Großkonzerne von Anfang an seine Geldgeber und standen im Hintergrund. Das Wort
„Nationalsozialismus“ ist ein Euphemismus, der sofort in „Nationalkapitalismus“ oder
genauer „Hitlerkapitalismus“11 umgeändert werden müsste, genauso, wie man besser
vom „Francokapitalismus“12 oder „Pinochetkapitalismus“ sprechen sollte. Verschiedene
Analysen, zum Beispiel von Shoshana Zuboff über „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ sowie über die faschistoiden Tendenzen innerhalb des Neoliberalismus legen nahe, dass die Gefahr eines totalitären Systems absolut akut ist. Diese geht jedoch kaum von wütenden rechtsradikalen Gruppen des ungebildeten Prekariats aus, sondern eher von der Finanzelite, die man durchaus für hintertrieben genug halten darf, eine „faschistische Gefahr“ als Begründung vorzuschieben, um still und heimlich eine eigene Diktatur zu installieren. Immerhin gründeten auch alle Angriffskriege der jüngeren Vergangenheit, die vorrangig der Sicherung der eigenen Herrschaft dienten, auf solchen behaupteten Gefahren, also Lügen! Alle bürgerlichen Errungenschaften – von der Meinungsfreiheit über die Gleichberechtigung der Frau bis zu humanen Arbeitsbedingungen – wurden gegen das herrschende Wirtschaftssystem errungen. Wie die Geschichte zeigt, kann das Großkapital sehr gut ohne Menschenrechte, dafür aber mit Entrechtung, Kinderarbeit, Sklaverei, Diktatur etc. leben, da dies die Löhne drückt und den Profit erhöht – genau deshalb werden heute viele Arbeitsplätze in die 3. Welt ausgelagert
.

G. Freudenreich

Ich bin mir sehr bewusst, dass es in Stress- beziehungsweise Krisensituationen zu einer
Regression sowohl von Individuen als auch von Gesellschaften auf frühere Entwicklungsebenen kommen kann. Der Hitlerfaschismus war eine solche. Und derzeit leben wir wieder in einer Krisensituation, die wiederum eine Regression provoziert. Doch findet diese meines Erachtens eher auf Seiten der Corona-Dramatisierer statt, die (aus Todesangst?) massenweise auf die mythische Ebene E4 regredieren, indem sie gläubig an den Lippen einiger weniger Wissenschaftler und Politiker hängen – verbreitet durch die Medien – als ob diese eine Offenbarungsreligion verkünden, anstatt selbst kritisch zu denken und den öffentlichen Dialog einzufordern (E5). Genau das sollte die bürgerliche Demokratie eigentlich von der vorherigen Ebene unterscheiden: Das hier um die Wahrheit gerungen wird, anstatt sie von der Kanzel oder vom Thron zu verkünden. Stattdessen schaut ein großer Teil der Gesellschaft – die „Hobbits“? – seelenruhig zu, wie ein noch demokratischer Staat schrittweise zu einem „Corona-Feudalismus“ (E4) mutiert, der sich möglicherweise demnächst nur noch in seinem Selbstnarrativ von der „High-Tech-Überwachungsdiktatur“ China unterscheidet. Und sie verstehen aus ihrer Perspektive nicht – was ich ihnen nicht einmal verübeln kann – dass es der Abbau genau dieser schwer errungenen zivilen Grundrechte in Deutschland und in anderen hochindustrialisierten Ländern des Nordens ist, was neben der Skepsis gegenüber überzogenen Corona-Maßnahmen die „Grundgesetzverteidiger“ auf die Barrikaden treibt13.
Eine Frage, die Herr Engert leider auch völlig außen vorläßt, ist die Frage, wieso es in den
letzten Jahrzehnten zu einem Erstarken des rechten Randes kommt, und das nicht nur in
Deutschland. Möglicherweise hat das ja etwas mit dem Versagen der Politik zu tun. Sie
ist meines Erachtens inzwischen fast ausschließlich Anhängsel der Wirtschaft und nicht
fähig, den erwirtschafteten Reichtum – weltweit! – einigermaßen fair zu verteilen – von
militärischen und Wirtschaftskriegen ganz zu schweigen. Dann gäbe es vermutlich kein
Flüchtlingsproblem und damit auch keine Notwendigkeit für unbewusste Nationalisten
aller Art, sich in ihrer eigenen Heimat als Fremdling zu fühlen. Gleichzeitig hätten die
Vertreter der frühen Ebenen im eigenen Land die für sie so wichtige soziale Sicherheit.
Die globalistisch veranlagten Ebenen ab E5 verstehen einfach nicht, dass für Menschen
auf frühen Bewusstseinsebenen „Heimat“ und „Stabilität“ eine ganz andere Rolle spielt,
als für sie selbst. Die AfD, die auch gerne dem Erstarken des rechten Randes zugerechnet
wird, spielt in diesem Reigen eine sehr besondere Rolle. Aus integraler Sicht ist es eigentlich nur eine Umlabelung: Weil Angela Merkel die konservative Kohl-CDU nach neoliberal – also von mythisch (E4) nach rational (E5) – geführt hat, ist die AfD angetreten, die Konservativen einzusammeln, die diesen Schritt nicht mitgehen konnten. Herr Gauland
sagt nichts anderes, als man vor Jahren noch von Franz Josef Strauß hören konnte. Die AfD
ist sozusagen die wirkliche Schwesterpartei der CSU. Insofern hat der Kampf der etablierten Parteien gegen die AfD nichts mit „moralischem Anstand“ zu tun, sondern ist zu großen Teilen ein Konkurrenzkampf um Pfründe. Aufgrund der zunehmenden Polarisierung in arm und reich nimmt die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten seit vielen Jahren zu. Corona wird zu vielen Betriebsschließungen führen und damit das Heer der Arbeitslosen und das Prekariat vergrößern – wodurch die Polarisierung der Gesellschaft weiter verstärkt wird. Es ist eigentlich ein Drama, dass die LINKE, anstatt die Corona-Maßnahmen und die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen zu nutzen, um sich an die Spitze einer neu entstehenden sozialen Bewegung zu setzen, sich lieber der GroKo gegenüber in Opportunismus übt. Wenn es stimmt, dass den unteren Bewusstseinsebenen materielle Sicherheit das wichtigste Bedürfnis ist, die Regierungsparteien sich hauptsächlich in der Umverteilung von unten nach oben üben, die LINKE mit ihren eigenen Problemen (nämlich Identitätspolitik) beschäftigt ist und die Grünen diesen Schichten überhaupt nichts zu bieten haben, ist es nur normal, wenn rechte Parteien, namentlich die AfD, vom Protestpotential profitieren. Und es zeugt von einem eingeschränkten Demokratiebewusstsein, wenn die anderen Parteien dem Volk
vorwerfen, es hätte „falsch gewählt“, nur weil diese Menschen erkennen, dass die etablierten Parteien ihnen außer schönen Worten nichts zu bieten haben und sie es aus Protest mit einer neuen Partei versuchen – die natürlich durch systemische Zwänge bedingt den gleichen Weg gehen wird, wie alle Parteien vor ihr.
Auch in den linken Quadranten erleben wir eine zunehmende Polarisierung: Für die
Gutverdiener Eliteschulen, für die Masse Tititainment in Form von Privatfernsehen etc…
Die mangelnde konstruktive mentale Stimulation eines Teiles der Bevölkerung führt zu
einer Stagnation seiner Bewusstseinsentwicklung und damit zu einer Verflachung und
Verrohung des kollektiven Bewusstseins als Ganzem. Das heißt, dass ein immer größerer
Prozentsatz der Bevölkerung auf niederen Bewusstseinsebenen hängen bleibt – verschuldet durch die Politik. In einem bestimmten Maße ist es sicher ganz praktisch: Der „Konsumlemming“ ist für Staat und Wirtschaft deutlich pflegeleichter als der mündige Bürger.
Möglicherweise kann diese Verrohung jedoch ein Maß erreichen, wo sie zur existentiellen Gefahr für die Gesellschaft selbst wird, wie man heute schon in Problemvierteln sehen kann. Auch das gibt rechten bis rechtsradikalen Strömungen weiter Auftrieb. Deshalb
ist meines Erachtens die Investition in gute Bildung für alle die absolut wichtigste Investition eines Staates in die Zukunft.
Die Angst, dass ausgerechnet die Querdenken-Bewegung in ein 4. Reich münden
könnte, ist m.E. ziemlich unbegründet. Richard D. Precht hat es gut auf den Punkt gebracht (und Herr Engert hat es implizit erwähnt): Adolf Hitler hatte eine ZUKUNFTSvision. Die heutigen Neonazis und Reichsbürger wollen in die VERGANGENHEIT zurück.
Und das ist nicht wirklich attraktiv für die Masse der Bevölkerung, weshalb die Wahrscheinlichkeit, dass dies eine Massenbewegung werden könnte, sehr gering ist. Wer will schon sein in China gebautes iPhone gegen einen deutschen Volksempfänger tauschen??? Ich persönlich hätte da viel größere Angst, dass der neoliberale „Wertewesten“
– also die Politiker der herrschenden Parteien – die Corona-Aufregung nutzt, um unter
dem Vorwand der „Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten“ im Hintergrund den nächsten Krieg um Rohstoffe, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte anzuzetteln. Vermutlich ist ein lokaler „Nationalkapitalismus“ im globalisierten 21. Jahrhundert
für das internationale Großkapital ziemlich unattraktiv, so dass es lieber die international
bestückten Divisionen der NATO für seine weitere Ausdehnung benutzt oder über digitale Wege den von Frau Zuboff befürchteten Überwachungskapitalismus weltweit installiert.

G. Freudenreich


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4 Kommentare

  1. Willi R. Wilkendorf
    26. Januar 2021
    Antworten

    „Ich gehe mal gutwillig davon aus, dass die Ignoranz der politischen Führungsriege gegenüber einem großen Teil der Bevölkerung ihrer eigenen Bewusstseinsebene E5 und nicht der Devise „Teile und herrsche“ entspringt.“
    Teile und herrsche ist eher E3, nicht E5. Die wirklich Integralen sind auf E7 verortet. Dort werden die vorhergehenden Stufen anerkannt und nicht (wie noch von E6 aus) niedergemacht oder als dumm betrachtet. Alles ist integriert, also auch die Stufen.
    Der Artikel wurde für die Öffentlichkeit geschrieben und sollte keinen diskreditieren, auch die Politiker nicht. Deshalb hat Wulf Mirko Weinreich (Gotthilf… ist sein Alter Ego) das in dieser Form (indirekt) geschrieben, nehme ich an.
    Ein weiterer Grund dafür ist wahrscheinlich seine Herkunft aus dem Osten. Man ließ damals, wenn es ging, in seinen Texten noch einen Interpretationsspielraum, das man nicht so hart angepinkelt wird, falls etwas schief läuft. Die gleiche Ambition ist mir im letzten Jahr auch (bei mir) selbst aufgefallen. Alte Gewohnheiten, die nach über 30 Jahren wieder rauskommen 🙂 Ein Schutzmechanismus. Nicht gut. 🙂

  2. Marc Heinecke
    30. Januar 2021
    Antworten

    Der Essay von Freuden-, bzw. Weinreich ist bislang einer der profundesten, geistreichsten und klarsten zum Verständnis des Antagonismus Querdenker /
    Mainstream hinsichtlich der Pandemie-Maßnahmen und stellt das, was von den Meinungsführern der Medien und Wissenschaften wie Precht, Sloterdijk und all den anderern Besserwissern und Bevormundern als Losung bekannt gegeben wird, weit in den Schatten. Es ist geradezu erbärmlich, was von den sog. Intellektuellen, Kunstschaffenden usw. bislang zum besten gegeben wurde. Unwillkürlich musste ich an die patriotischen Appelle der Intelligenzia im Deutschen Reich, bzw. auch in den alliierten Staaten nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs denken, denen sich nur sehr sehr wenige entzogen haben – tlw. mit tödlichen Folgen. Vielleicht, das zum Trost sind wir inzwischen etwas weiter, da ein weitverzweigter Widerstand vieler Frei- und QuerdenkerInnen Anlass zur Hoffnung gibt, das noch nicht alles verloren ist und das Ende der Geschichte in einem globalen Mordor vor der Tür steht.

  3. Sabine von Mencinskyj
    1. Februar 2021
    Antworten

    Fasse Dich kurz.
    Kein Mensch liest diesen durchaus lesenswerten Text zu Ende.

  4. willi r. wilkendorf
    2. Februar 2021
    Antworten

    Sabine, ich kenne einige Menschen die diesen Text bis zu Ende gelesen haben. Für seine eigene Aufmerksamkeitsspanne ist doch jeder selbst verantwortlich? Komplexe Themen brauchen unter Umständen ein paar Worte mehr. Eine Sache der Entscheidung.

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