Muktinath oder: bei Bob am Feuer

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Es ist vollbracht. Und auch wieder nicht. Ich habe erst während meiner Reise mein Ziel herausgefunden. Dort angekommen, wird klar: nach dem Ziel ist vor dem Ziel oder: der Weg ist das Ziel

Auf den letzten paar Kilometern nach Muktinath ist die Aussicht auf die Berge besonders atemberaubend. Aber nicht nur der Anblick, auch die Höhe kann dazu führen, dass das Atmen tatsächlich schwerer fällt. Die „Höhenkrankheit“ ist hier durchaus ein Thema. Ich entscheide daher bewusst eine Nacht auf 2800 Metern (Kagbeni) zu schlafen und nicht direkt an einem Tag auf die 3800 von Muktinath zu „klettern“. Trotz meiner Vorsichtsmassnahme klopft mein Herz auf den letzten paar Serpentinen. Werde ich gleich am vorläufigen „Ende“ meiner Reise ankommen? Und wie wird sich das anfühlen? Werde ich finden, wonach ich suche – wobei ich ja noch nicht mal genau weiß, was ich eigentlich suche? Innerlich regt sich bereits die Angst, nach dem Erreichen des vermeintlichen „Zieles“ eine Leere vorzufinden. Aber die Angst stellt sich jetzt, nachdem ich die letzten 12 Stunden hier in Muktinath sehr harmonisch verbracht habe, als unbegründet dar, besser gesagt: für mich wird hier gerade einmal mehr sehr anschaulich, dass das Leben ein fortwährender Prozess ist, eine ständige Umwälzung, ein Fortschreitendes, immer weiter-führendes, Unendliches.

Wenn es etwas gibt, das hier auf mich wartet, dann ist es diese (eigentlich alte) Erkenntnis: das Leben geht weiter, immer weiter, ich komme nie an, die Frage ist, wie lebe ich es? Kannst ich offen sein, freudig, liebevoll, neugierig, ausgeglichen, kann ich mit mir und meinem Leben in Frieden sein?
Ich bemerke jedenfalls: ich kann diesen Tag hier oben annehmen, so, wie er ist. Ich kann mich und mein Leben heute hier feiern und gleichzeitig spüren: jetzt gehts wieder die Strasse zurück in die Richtung aus der ich gekommen bin. Wie mein Theater-Mentor Aureliusz Smigiel damals sagte: nach dem Gig ist vor dem Gig.

Der Grund, aus dem vermutlich die meisten Menschen hierher pilgern, ist der Vishnu-Tempel (Vishnu ist einer der Hindu-Götter) ganz oben von Muktinath. Gebaut wurde er offenbar aufgrund des besonderen Wassers: Quellwasser vom Dach der Welt fliesst hier (oder entspringt hier sogar ganz in der Nähe?).
Die 18köpfige Hindu-Großfamilie, mit der ich den Vorabend im Hotel in Kagbeni verbracht hatte, hat mir ein paar DInge erklärt. Zuerst reisen viele der Pilger nach Kagbeni, dort opfern Sie ihren Ahnen und beten für Sie. Es gibt dafür Rituale am Kali Gandaki Fluß, dort werde ich Zeuge einiger eindrucksvoller Szenen. Ich beobachte einige der teils schon sehr alten Menschen, die sich dort hinsetzen und ihre Utensilien ausbreiten, die sie für ihr Ritual benötigen. Verschiedene Schalen, Kräuter, Weihwasser – jeder Handgriff sitzt, alles wird mit Präzision und würdevoller, bedachter Haltung ausgeführt. Grundsätzlich ist die Beziehung zu den Ahnen ein tragendes Thema im Hinduismus. Wer seinen Ahnen opfert und sie gut behandelt (ja, auch und gerade Geld spielt hier eine zentrale Rolle bei den Opfergaben bzw als Energie-Austausch für die Babbagis, die dann für den Spender beten, ihn segnen und die Rituale abhalten) – der kann möglicherweise besser schlafen, da die Ahnen auf einen zurück wirken, sie können beschützen und führen.

Der erste Bestandteil dieses Rituals für die Ahnen, ist die Reinigung im Fluss. Hierzu waschen sich die Menschen rituell in dem eiskalten Wasser, bei eiskalter Luft. Eisbaden a la Wim Hof sozusagen, nur, dass diese Traditionen Jahrtausende alt sind und mit Bedeutung aufgeladen – der physische und psychische Nutzen dürfte wohl dergleiche sein. Ich selbst spiele auch mit dem Gedanken, mich im Fluss zu waschen, aber dann spreche ich mit einem Nepalesen, der das nicht vorhat und knicke selbst ein. Ein bisschen liegt das auch daran, dass ich immer noch nicht wieder ganz fit bin und ich wirklich nicht auskühlen möchte – zumal ich ja die kalten 108 Duschen von Muktinath noch vor mir habe am heutigen Tag.

Ich mach ein paar Aufnahmen am Fluss, das Motorrad, bzw. das Gepäck ist schon für die Abreise vorbereitet. Dann trinke ich noch einen Cappuccino bei „Johnny Cash“, so heisst das Cafe mitten im Ort, bevor ich mich auf den Weg mache, die letzte, etwa 35 minütige Etappe nach Muktinath in Angriff zu nehmen. Die Strecke ist vermutlich die Schönste auf der Tour bisher. Der Himmel ist blau und die Berglandschaft um mich herum majestätisch, ich bin umgeben von Gletschern und silber-grauen Berglandschaften. Im letzten Dorf vor Muktinath halte ich an, um bei einer alten Frau, die ihre gewebten Schals und andere Dinge feil bietet, eine Flasche Wasser zu erhalten. Ich trinke großzügig, da man mir sagte, ich solle viel trinken. Und dann erreiche ich Muktinath.

108 heilige Duschen

Ich lasse mein Motorrad im Ort stehen und nehme Badehose und Handtuch mit. Auf der ewig langen Treppe zum Tempel (oder besser zu den beiden Tempeln, denn es gibt dort oben wie gesagt einen Hindu und einen Buddihsten Tempel), komme ich durchaus in Atemnot. Am Wegesrand sitzen Babbagis, ich lasse mich segnen. Oben angekommen, gehe ich nicht direkt zum Haupttempel. Ich setze mich auf eine Bank unweit eines Schreins und besinne mich auf den Augenblick. Ich spüre in mich hinein, lasse alles los und versuche Frieden zu schliessen, mit dem, was gerade, in diesem Moment, ist. Verschiedene Menschen kreuzen meine Gedankenwelt. Ich spreche Gebete für Sie, für alle Menschen, auch für jene, von denen ich keine oder kaum Liebe bekommen habe. Es löst sich etwas in mir, Tränen treten aus meinen Augen. Es ist alles genau gut so, wie es gerade ist. Nach dieser Besinnung, fühle ich mich bereit, die 108 heiligen Duschen von Muktinath aufzusuchen.

Eisbaden, nur anders

Ganz oben beim Tempel treffe ich – natürlich – wieder auf die große Familie. Sie begrüßen mich freudig. Als ich einen der Männer bitte, auf meine Wertsachen achtzugeben, lacht er und meint, „hier gibts keine Diebe, wir sind hier in Muktinath!“ – und ich vermute, dass er da wohl richtig liegt. Ich fackel nicht lange und gehe, so langsam ich kann, die 108 eiskalten Duschen ab. Es ist wirklich extrem kalt, am Kopf tut es teilweise so weh, dass ich einige der Duschen lieber auf die Schultern plätschern lasse, sonst bekomme ich noch einen Brain-Freeze. Ich gehe alle Duschen sorgfältig und langsam ab. Um dann, nach der allerletzten, amtlich auszurutschen. Ich kann mich gerade noch irgendwie mit den Armen abstützen, meine so „beherrschte“ Aktion fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Gott hat Humor, denke ich, und muss, nachdem der erste Schreck verflogen ist, los lachen. Mir ist völlig klar: das hätte auch ganz anders ausgehen können. Wir können uns noch so sehr anstrengen, die Dinge zu kontrollieren – am Ende ist es eine Illusion . Wir können gar nichts kontrollieren. Außer zwei kleinen Schürfwunden ist mir nichts passiert, darüber bin ich froh und dankbar. Der „Deutsche“ in mir schimpft: das könnte man ja aber mal in Ordnung bringen, das ist ja lebensgefährlich! Nun ja, der „Deutsche“ in mir – falls man darunter so etwas wie einen inneren, unverbesserlichen Rohrspatz begreifen mag – darf – Gott sei Dank – immer öfter mal Pause machen und sich entspannen.
Der Nepalese aus der Großfamilie, der mir gestern Abend noch Schnaps als Wärmflasche von innen empfahl, ist plötzlich zur Stelle und möchte mich filmen, wie ich in die beiden Bäder gehe, in die man hier geht, nachdem man die 108 Duschen hinter sich hat. Er unterstreicht damit die Feierlichkeit des Ganzen und ich freue mich, dass er den Moment für michfesthält. Dann ruft er mir zu, ich solle eine Münze aus dem Pool fischen, was ich auch tue. Diese Münze, so erklärte es mir Saral am Tag zuvor, könne man zB auf seinen Altar legen, sie sei eine Art energetische Verbindung zu diesem Tag bzw. Ort.

Jetzt setze ich mich noch für etwa eine Stunde an die Rückseite des Tempels und lasse mich von der Bergsonne aufwärmen, während ich die Augen schliesse und versuche, in mich zu kehren. Das gelingt mir aber nur teilweise, weil die ganzen Menschen hier ständig um den Schrein laufen, sie beten, tragen Räucherstäbchen, schmeissen mit Reis und Blumen, zünden Kerzen an und schlagen Glocken, die im Rundlauf um den Schrein herum verteilt hängen. Sie laufen immer und immer wieder im Uhrzeigersinn um den Schrein, es ist richtig Leben in der Bude, sie beten laut oder leise und ich kann nicht anders, als mir das Treiben immer wieder anzuschauen, während ich selbst einige Gebete spreche und versuche, bei mir zu bleiben.

Dann löse ich mich von diesem Ort und beginne den Abstieg. Ich fühle mich ausgeglichen
und bin gedanklich tatsächlich schon dabei, Überlegungen zu meiner Rückreise anzustellen. Auch aufgrund der klirrenden Kälte bin ich geneigt, wärmeren Gefilden entgegen zu gehen. Eine weitere Nacht ohne Feuer kommt eigentlich nicht in Frage. Die vorherige Nacht in Kagbeni hatte ich ehrlich gesagt nur überlebt, weil die Großfamilie mir – wie schon angedeutet – „Marpha“ (also Apfel-Schnaps) angedreht hat, ich bin ihnen dafür immer noch dankbar, aber ich möchte jetzt auch nicht jeden Abend die Kälte mit Alkohol bezwingen.. Und ich bin gerade dabei, den Motor zu starten, da fragt mich ein freundlicher junger Mann, ob ich nicht vielleicht noch die Nacht bleiben wolle. Genauer sagt er: Du wirst hier eine ganz wunderbare Zeit mit uns haben. Und gleich darauf sagt er, er werde abends Feuer machen. Und als ob das nicht reichen würde, bietet er mir noch ein Zimmer gratis an. Ich muss nachfragen, ob ich ihn richtig verstanden habe. Er bejaht und zeigt mir das Zimmer. Und weil es wirklich total schön ist, kann ich gar nicht anders und sage zu, ich bleibe diese Nacht im Bob Marley Hotel, denn Pläne sind dazu da, von ihnen abzuweichen und ich freue mich über meine innere Beweglichkeit.

Das Zimmer ist wirklich ein Traum. Es liegt direkt an der Straße, die zum Tempel führt. Es befindet sich im zweiten Stock, mitten in der Sonne, oberhalb einer Terrasse, auf der Menschen in der Sonne sitzen und speisen. Und weil es aus Holz ist, hat sich während des Tages so sehr mit Sonnenstrahlen aufgewärmt, dass es jetzt einen richtig angenehmen Wärmespeicher darstellt. Ich lege meine Sachen ab, esse auf der Terrasse noch ein Shakshooka und penne dann erstmal gut anderthalb Stunden, jetzt fühle mich wirklich ausgezeichnet.

An der Feuerstelle bei Bob

Meinem unausgesprochener Wunsch, diese besondere Reise am höchsten Punkt mit einem Feuerkreis zu beschliessen, wird freundlicherweise vom Universum entsprochen. Mit dabei: 3 Engländer, die mit Fahrrädern (!) aus Pakistan unterwegs sind (die haben sie aber gerade in Pokara gelassen), ein älterer bärtiger Herr, der sich sehr gut mit Haschisch auszukennen scheint und die Jungs vom Hotel Bob Marley. Der Abend ist mega lauschig, ich steuere zwei Joints bei, die ich in Pokara noch besorgt hatte und der Smile Effekt ist nicht nur bei mir spürbar. Irgendwann hole ich noch die Maultrommel raus, die ich in Kathmandu bekommen habe und die Jungs sind ganz wild drauf, zu lernen, damit zu spielen. Sie spielen zum ersten mal damit, Tatsache, ich muss ihnen sogar erklären, wie man das Teil nennt. Ich ermutige sie, sich eine aus Kathmandu mitbringen zu lassen.
Dann ist das Feuer irgendwann aus, leider. Es gibt zurzeit nicht so viel Holz, bzw es holt sich nicht von selbst. Zeit für die Koje. Glücklich falle ich ins Bett und wüsste gern, wo meine Seele in dieser Nacht wohl herum schwirrt.




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