Bis zuletzt war ich mit mir am hadern. Sollte ich wirklich die unbekannte Südroute nach Kathmandu zurück fahren? Mein Flug wartet nicht, da würde also nicht groß was schief gehen dürfen… letztlich entschließe ich das Wagnis, auch, weil ich dann heute nur eine kurze Etappe abreissen muß. Ehrlich gesagt ist die Strecke außerhalb des hohen Gebirges aufgrund des starken Verkehrs nicht immer eine Freude. Zum Teil sieht man wirklich nur noch Staub und weil man den natürlich auch samt schwärzester Abgase ständig einatmet, bis es in den Lungen brennt, kaufe ich mir zum ersten mal im Leben eine Maske, sie kostet 10 Rupien. Leider ist das Teil, je nachdem, völlig witzlos oder ein echter Lacher, es bringt nämlich rein gar nichts und wird daher kurz darauf wieder entsorgt. Viel Glück dem, der damit Viren aufhalten will!
In Mugling gibt’s dann die Straßensperrung in Richtung Sauhara, von der mir schon mehrfach berichtet wurde. Da diese wohl bis 16h geht, was noch über zwei Stunden hin ist, lasse ich die Mühle vorn stehen und mache mich auf die Suche nach einem ordentlichen Mittagessen. Ich bestelle in einem Restaurant gegrilltes Hühnerbein und nepalesischen Salat (i.d.R. Gurke, Tomate, Zwiebel, Karotte, Weißkohl mit Gewürz und Zitrone), dazu gibts frische Pommes und Ketchup. Ich trinke eine Flasche Mountain Dew und nach dem Essen noch einen Milk-tea.
Dann suche ich einen Barber, ich will mir die Glatze rasieren lassen. Ich finde einen in der direkten Umgebung und muss daran denken, wie aufgeregt ich damals in Hampi, Indien, war, als ich mir zum ersten mal eine Kopf-Nassrasur beim Barber gegeben habe. Der war damals vermutlich über 80 und hatte ne richtige Zitter-Hand, ich erinnere mich noch, wie ich mir in die Hose geschissen habe vor Angst. Lustigerweise hatte der Alte mir damals dann sogar tatsächlich nen kleinen Cut verpasst, aber gestorben bin ich davon nicht. Heute bin ich eher entspannt. Und werde nach der Rasur gefragt, Massage? Ich bejahe und bekomme erst eine Kopf- dann eine Nacken- und dann noch eine Arm- und Handmassage. Ohne Scheiss, er massiert mir sogar die Augäpfel unter den geschlossenen Augenlidern. Ich bin sehr dankbar, dass ich das erleben darf und freue mich darüber, dass die Zeit, die ich während der Strassensperrung verbringe, eine ganz schön gute Zeit ist. Und ich denke, dass, auch wenn es ganz schön ungerecht von Gott war, mir schon im Alter von 20 Geheimratsecken bis zum Nacken zu verpassen, ich doch jetzt immerhin Dank meiner Glatze an Orte der Entspannung komme, die mir sonst vielleicht verborgen geblieben wären.
Mir begegnen dann noch die drei lustigen Inder ohne Bremse. Sie kommen aus Uta Pradesh und sind bereits auf der Rückreise von ihrem Kurzurlaub, wobei sie es nicht Urlaub nennen, sondern religöse Fahrt. Es sind Hindus und sie besuchen – na klar – heilige Orte in Nepal, von denen es wohl einige gibt. Sie zeigen mir ein Foto vom Bremsschuh ihres PKW, der völlig runter ist. Und dann erzählen Sie mir, dass sie ewig lange ohne Bremse unterwegs waren. Inzwischen sei das repariert worden, aber eine Weile wären sie ohne Bremse gefahren und hätten sich aber nicht gefürchtet. Sie zeigen mir lachend ein Video, darin sieht man tatsächlich die drei im Auto fahrend und singend, sie scheinen bester Laune zu sein. Wir hatten keine Angst, sagt der eine, wir haben einfach gebetet! Wir sind ohne Bremse den Berg runter gefahren, aber das war kein Problem, da braucht man nur Talent und unser Fahrer hat viel davon!
Hare Hare Mahadev!
Mantra oder Gebet an Lord Shiva bei Unbehagen
Wenn Du Angst hast, kannst Du einfach Lord Shiva anbeten und Hare Hare Mahadev sagen oder singen, dann geht Deine Angst einfach weg, Du wirst sehen! So sagen sie und ich freue mich über diese Information – vielleicht wird sie mir ja noch nützlich sein – und verabschiede mich herzlich, denn es ist inzwischen kurz vor vier Uhr und demnächst dürfte es weiter gehen.
Ich überprüfe einmal mehr, ob meine Taschen ordentlich fest gezurrt sind und setze mich schon mal auf die Maschine. Inzwischen sind um mich herum viele Motorrad- und Rollerfahrer versammelt und ich möchte zeitig wegkommen, sobald die Schar sich in Bewegung setzt. Auch möchte ich auf jeden Fall vor den PKW und LKW wegkommen, mir gefällt die Vorstellung der freien Bahn nach der Sperrung. Vier Uhr. Einige Nepalesen werden unruhig, starten ihre Maschinen, hupen. Auch ich starte meine Maschine, warte, schalte sie wieder aus. Plötzlich passiert etwas Unerwartetes: von hinten kommen mindestens nochmal so viele Biker und sie hupen alle, was das Zeug hält. Jetzt muss es losgehen, denke ich, inzwischen sind wir bestimmt 100 Motorräder oder mehr. Ich befürchte schon, dass die gleich den einsamen Polizisten da vorne einfach über den Haufen fahren werden. Aber dann dauert es noch ganz schön lange. Erst als der dicke Truck, der eins der ersten Achsenfahrzeuge im Tross ist, seine schwere Maschine in Gang setzt, gibt es kein Halten mehr, das riesige Feld setzt sich in Bewegung, es geht los!
Und was dann kommt, ist unbeschreiblich. Es macht unwahrscheinlich viel Spass mit bzw in dieser riesigen Gruppe zu fahren. Die Stimmung ist irgendwie total gut, viele der Beifahrer, die hinten drauf sitzen, filmen mit ihren Handys die Szene. Die Strasse ist wirklich gut, das Licht und der Ausblick irgendwie besonders. Zwischendurch staut sich die Kolonne wieder, denn natürlich ist auch hier der Asphalt immer wieder unterbrochen von Kies, Geröll, engen Brücken und dergleichen. Eine ganze Weile gibt es keinen Gegenverkehr, das ist natürlich der beste Abschnitt. Und dann irgendwann rasen sie mir wieder entgegen, die Busse, Trucks, Jeeps usw. Aber es dauert über eine Stunde, bis mich ein PKW von hinten überholt, einer von der Sorte Gaga-Raser. Das die Fahrt von Muglin nach Sauhara dermaßen spaßig sein würde, damit hatte ich nun nicht gerechnet. Bisher ging also meine Rechnung, den “Umweg” in Kauf zu nehmen und auf bessere Strassenverhältnisse zu hoffen, voll auf.
Bei Bharatpur dann links abbiegen und auch hier ist die Strasse sehr gut. Nur noch 23 Minuten bis Sauhara, ich habe es fast geschafft. Und dann geht plötzlich meine Mühle einfach aus. Ich lasse ausrollen, versuche zu starten. Geht nicht. Okay, dann ist wohl jetzt der Sprit alle. Ich drehe den Reservehahn um und fahre weiter, kurz vor meinem Ziel mache ich nochmal fast voll. Die letzten Kilometer fahren sich angenehm, es ist warm und der Sonnenuntergang bahnt sich an. Ich bin entspannt und habe das Gefühl, dass ich alles richtig mache. Ich mache nen Googlemaps Check und gebe ein gut bewertetes Gasthaus ins Navi ein. Die Strasse, die nach Sauhara raus führt, ist irgendwie sympathisch. Viele Menschen sind da, arbeiten irgendwas oder sitzen einfach da. Spielende Kinder. Tiere. Hühner, Ziegen, Kühe, Hunde, Katzen. So friedlich. Die Behausungen werden jetzt noch einfacher, dann sehe ich zum ersten mal Strohsilos, fast jedes Haus hat jetzt so ein Stroh-Dings daneben, ich glaube ich bin inzwischen schon in Sauhara. Eigentlich gibt es hier gar nichts. Nur Menschen, die sehr einfach leben, sehr eng mit ihren Tieren zusammen. Und natürlich einige Guesthouses, weil die Touris kommen ja hier her, wegen dem Chitwan Nationalpark. Wollen knipsen. Nen Tiger ablichten fürs Poesie-Album.
Als ich fast da bin, also bei dem Guesthouse, das ich im Navi habe, komme ich an einer imposanten Zufahrt vorbei. Es sieht aus, wie aus einem Safari-Film oder so. Ich zögere erst – denn das sieht tatsächlich überaus exklusiv aus und wird dementsprechend teuer sein – aber dann fahre ich rein. Ich stelle das Motorrad ab und gehe den gepflegten Kies-Weg bis zur Rezeption. Dort begrüßt mich ein sehr freundlicher Herr Mitte Fünfzig, der auch ein schwuler Türke sein könnte, und ich fühle der Preisgestaltung und seiner Verhandlungsbereitschaft auf den Zahn. Kurze Zeit später habe ich nicht nur eine sehr komfortable Bleibe für die Nacht, sondern auch einen Plan für den morgigen Vormittag. Der Jeep zum Chitwan Nationalpark wird mich um 6:15 ab für eine 3-stündige Tour abholen. Somit wird mir am morgigen Nachmittag genug Zeit bleiben für die nächste Etappe. Und weil morgen ein langer Tag werden wird, schreibe ich noch ein ganz klein wenig und gehe ich nicht allzu spät schlafen.
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