Lebendig

Sharing is caring:

Sicherlich ein Grund, warum ich hier so einiges von meiner Reise aufschreibe ist, dass ich mich dann besser daran zurück erinnern werde. Nicht falsch verstehen: Mein Lebenskonzept, falls ich überhaupt so etwas habe, ist sicherlich nicht, meine Energie aus Erinnerungen zu beziehen. Aber die hinter mir liegenden 5 Jahre waren in meinem bisher 40 jährigen Film nicht die einfachsten. Und ich bin gerade vor allem dankbar, dass ich , während ich hier in Nepal auf mein halbvolles (nicht halb leeres) Glas Bier schaue, wieder so etwas wie Versöhnung mit mir und meinem Leben erlebe.

Nicht, dass mein Leben jemals in allzu geschmeidigen Bahnen verlaufen wäre. Aber die Trennung von der Mutter meines Kindes und die anschliessende gesellschaftliche Traumatisierung durch die erlebte Ausgrenzung als Ungeimpfter und als Mensch, der sagt, was er denkt; die tiefen Gräben (eben auch mit meiner Ex-Partnerin, von der ich solches niemals erwartet hätte), die sich im familiären Bereich aber auch im beruflichen Kontext auftaten – das alles war eine Grenzerfahrung, die für mich teilweise so belastend war, dass ich an einigen Stellen kaum noch den überlebens-notwendigen Optimismus aufbringen konnte, den Mensch braucht, um morgens mit einer gewissen Freude im Herzen in den Tag zu gehen.

Für mich war das „Projekt Familie“ so etwas wie ein Rettungsanker, der dringend notwendig war, nachdem ich beruflich stagnierte und nicht wirklich den Mut aufbringen konnte mich da grundsätzlich neu zu erfinden. 2006 nach Berlin gekommen, baute mein Lebenskonzept in dieser einstmals freien Stadt vornehmlich auf Hedonismus, Festivals und Eskapaden auf – mein Job als Synchronsprecher lieferte mir dazu eine Komfortzone, die mich, anstatt mich innerlich beweglich zu machen und zu Wagnissen zu motivieren, eher in einem Status Quo gefangen hielt, der zwar formal durchaus als erfolgreich zu interpretieren wäre, mich seelisch aber niemals befriedigte. Als ich dann Vater wurde – und das wollte ich mit jeder Zelle – dachte ich „jetzt hast Du ne Aufgabe, jetzt wirst Du gebraucht, jetzt ist das sinnlose Geld verdienen nicht mehr ganz so sinnlos.“ Allerdings war diese Episode kurz und der Aufprall nach der Trennung umso heftiger. Der Sinn fehlte. Ein Leben in einer verkopften Gesellschaft, einer vereinzelten, verlogenen, durch und durch kranken Gesellschaft, in der die Zersplitterung zum Normalzustand gehört und keiner groß daran Anstoß nimmt. Illusionen, Propaganda und Verdrängung, wohin das Auge blickt.


In 2 Wochen ist diese Reise zu Ende. Und der Aufhänger dieses Textes ist die Frage danach, wie und ob mich diese Reise nachhaltig verändern kann/können wird.

Mein 6 jähriger Sohn fragte mich vor meiner Reise, was der Unterschied sei „zwischen Urlaub und Reise“. Und ich war damals nicht wirklich in der Lage, darauf eine schlüssige Antwort zu geben. Inzwischen glaube ich die Antwort – die ich damals schon intuitiv kannte, schließlich betonte ich aus Gründen ihm gegenüber ein ums andere mal, dass „Papa auf Reise gehe“ – gefunden zu haben. Eine Reise verändert Dich, ein Urlaub dient der Erholung. Und die Frage, die sich mir hier stellt, ist, ob diese Reise das Potential dazu hat, mein gesamtes Leben wieder etwas mehr als Reise, als Lebensreise zu betrachten, in Bewegung zu bleiben, Dinge zu tun, die intuitiv getan werden wollen. Was ist das Leben, wenn nicht im besten Fall eine lebendiger Fluss freudig unternommener Etappen, die Mut abverlangen, aber auch Glück schenken, (D)ein Weg, der Dich verändert, transformiert?

Ich habe hier Momente mit mir, die unendlich kostbar sind, eben weil ich mich lebendig fühle. Was bedeutet das? Wenn ich mich „lebendig fühle“, dann meine ich damit, dass ich mich mit dem Leben versöhnt fühle, dass ich dem Leben zu lächle und, dass ich in diesem Augenblick im Frieden bin mit mir – und dem (meinem) Leben. Das ich abends erschöpft und freundlich gestimmt ins Bett gehe, einschlafe mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Es gibt dafür kein Patentrezept. Aber offenbar gelingt es mir immer wieder, diesen Zustand zu erreichen, wenn ich längere Zeit mit mir bin, an Orten, an denen ich (so sagt es der Verstand) völlig auf mich allein gestellt bin und dann aber feststelle, dass ich gar nicht so alleine bin. Ich fühle mich hier gerade überhaupt nicht einsam. Ganz im Gegenteil. Wenn ich mir Gelegenheit gebe, Neues auszuprobieren und Ängste zu überwinden, fühle ich mich verbunden und plötzlich wird alles möglich. Und ja klar, das hat auch was mit dem anderen Mindest vieler Menschen hier zu tun.

Gerade heute – ich hatte nach der Tour nach Mukrinath (Himalaya) eigentlich schon auf Chill-Modus umgeschaltet und meine Rückreise nach Kathmandu gedanklich eingetütet, habe ich wieder dieses Gefühl, dass sich einstellt, wenn man den Ruf spürt Entscheidungen zu treffen, die irgendwoanders herkommen, jedenfalls nicht aus Deiner Komfortzone oder aus Deinem Kopf. Raju, der Enfield Engineer meines Vertrauens hier in Pokara, hat eine Idee wieder aufgeweckt, die ich eigentlich schon hatte, bevor ich überhaupt in Nepal ankam So lebendig fühlt sich diese Idee an, dass ich es nicht lassen kann und nun kurzfristig eine andere Strecke nach Kathmandu zurück fahren werde. Diese ist deutlich länger, aber ich habe gerade Lust darauf, weiter zu machen, weiter zu reisen. Ich werde über Sauraha, Hetauda und Dhaman nach Kathmandu fahren, mit einigen Übernachtungen und der Gelegenheit den Chitwan Nationalpark zu besuchen.

Ich hoffe, dass ich einen Teil dieser heilsamen, hier erlebten Lebendigkeit mit nach Berlin bringen kann, vor allem in die Beziehung zu meinem Kind. Ich telefoniere regelmässig mit ihm, trotzdem kommen manchmal schwierige Gefühle auf, da die Beziehung zu seiner Mutter weiterhin belastet ist und von Vorwürfen gezeichnet. Ist es wirklich richtig, mich dazu zu entscheiden, zunächst einmal mit mir zu sein? Wie wird das lange Fortsein (zehn Wochen) unsere Beziehung verändern? In meinem Herzen weiß ich, dass ich alles richtig mache. Ich liebe meinen Sohn. Doch der Unfriede zwischen seinen Eltern ist für ihn immerzu spürbar, ein belastender Dauerzustand., der sich auch auf sein kleines Gemüt auswirkt und meine längere Abwesenheit zu einer besonderen Herausforderung macht. Aber ich möchte nicht mehr in Angst leben, sondern darauf vertrauen, dass alles gut wird. Ich will auf mein Herz hören und meinen Weg gehen. Was auch immer man mir anhängen wird, ich bin frei. Und meine Liebe zu meinem Kind ist wahr. Genauso wie die Liebe zu mir selbst und zu diesem Film names Leben, der uns manchmal so einiges abverlangt, wahr ist. Vielleicht ist das alles, was ich in den letzten Jahren erleben musste, eine notwendiger Prozess, mein Leben endlich bewusster zu leben und zu gestalten, eben am Ende doch raus zu kommen aus der Komfortzone.
Ich möchte diesen Sommer in Berlin gern weiter reisen. Mutig sein. Das Lebensgefühl „Reise“ an dem Ort leben, den ich seit inzwischen gut 17 Jahren bewohne. Vielleicht bedeutet das auch, die Zelte dort abzubrechen, Neues zu wagen – who knows? Möge ich die richtigen Menschen treffen und möge Gott mich leiten.


Sharing is caring:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert