Beni

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Der Wecker klingelt um 7. Ich spüre in mich hinein und die Entscheidung, loszufahren, wird getroffen. Ich habe seit 2 Tagen Halsschmerzen und es scheint so, als ob ich krank werde. Aber die Vorstellung, hier in Pokara darauf zu warten, fit zu werden gefällt mir nicht. Die Nacht war nicht super erholsam, aber der Reiz loszufahren ist groß und vielleicht schaffe ich es ja nicht allzu krank zu werden bzw mich schnell wieder zu kurieren. Die heutige Strecke ist überschaubar und vielleicht trägt ein positives Mindset dazu bei, dass am Ende alles halb so wild wird. Ich packe also meine Sachen. Dann trinke ich noch einen frischen Ingwer Tee, die Familie um Bamdev ist schon auf den Beinen, ich mag die Leute. Als ich meinen Tee trinke sehe ich wie Vater, Mutter und der jüngere Sohn in der Einfahrt stehen – der Sohn sitzt – und miteinander reden. Es wirkt sehr harmonisch auf mich, wie diese Familie miteinander kommuniziert.

Ich habe Glück und finde eine Apotheke, die schon geöffnet ist. Um diese Zeit sind die meisten Rollläden der Shops auf der Lakeside Strasse noch unten. Während ich mich der Apotheke nähere höre ich Schüsse, es klingt etwa so wie in dem Game Counter-Strike. Ich sage „Namaste!“ und ein schwarzer Haarschopf taucht hinterm Tresen auf. Der junge Mann hat ein Smartphone in der Hand, den Emittenten der Kampfgeräusche. Ich kaufe 2 Blister Ibus für 60 NPR und frage, was er daddelt. PUBG ist die Antwort, das spielen sie hier alle auf mobilen Endgeräten.

Ich lasse Pokara hinter mir und finde zum ersten mal in Nepal so etwas wie einen Highway vor, tatsächlich gibt es für eine Weile 3 Spuren in beide Richtungen. Es ist nicht viel los und ich komme gut voran, ich fahre zum ersten mal auf der Reise kontinuierlich 80km/h. Der Highway mündet nach etwa 25 Minuten in eine sehr gute asphaltierte Strasse, die mich die ersten Hügel hinauf bringt. Ich bin durch diese sehr guten Verhältnisse leicht beschwingt und fühle mich in meiner Entscheidung loszufahren bestätigt. Wenn das so weiter geht, ist das ja ein Klacks, denke ich und halte an, um die schöne Aussicht zu geniessen und ein paar Fotos zu machen.

Mein Ziel im Navi ist das Heritage at Mallaj in der Nähe von Beni – Googlemaps hat es mir als „am besten bewertet“ angezeigt und ich habe mit dem Besitzer, der sehr gut englisch spricht, am Vorabend telefoniert. Die Fahrt verläuft ausgezeichnet, es sind hier wie erwartet viel weniger Busse und dicke Brummer unterwegs. Irgendwann fröstelt es mich ein wenig und ich ziehe mir noch einen Pulli drunter und die langärmeligen Handschuhe, die ich in Pokara noch für 800 NPR erstanden hatte, an. Irgendwann komme ich an eine Strassensperre, drei Polizisten fordern die Ankommenden auf, anzuhalten. Ich frage einen Nepalesen, was hier los sei und er antwortet mir, dass der Präsident mit dem Hubschrauber erwartet werde. Nach ca. 15 Minuten können wir weiter. Überall stehen Polizisten und auch Soldaten sehe ich viele. Dann sehe ich den Hubschrauber. Er ist bereits gelandet und steht auf einem großen Fussball-Feld. Einige Schaulustige beobachten das Geschehen und auf dem Feld stehen Soldaten in militärischer Formation.

Kurz darauf macht mein Navi Probleme. Die Straße, der ich gefolgt bin, endet in einer Art Steinbruch, ich frage Fußgänger, ob ich hier nach Beni kommen würde. Nein, ich müsse zurück auf die Mainroad, ich kehre also um. Ich frage mich nach Beni durch, die Strasse ist zum Teil sehr schlecht, ich brauche am Ende länger als gedacht, ziehe meine Jacke aus und klemme sie, den Pulli und die langfingrigen Handschuhe, unter das Gummiseil, das meine Tasche hält. Inzwischen habe ich das Gefühl ein wenig zu fiebern. Als ich in Beni ankomme, bestätigt sich mein Verdacht: das war nicht die Mainroad, sondern eine Umweg über Seitenstrassen. Ich bin ziemlich erschöpft und nehme eine Ibu. Und dann habe ich richtig Glück. Der Mann, den ich frage, wo ich einen Kaffee trinken und ausruhen kann, zeigt mir eine winzige Gasse, durch die ich mit dem Motorrad gerade so durch passe. Er geht mit mir das Stück bis zum Hotel Dolphin, wo ich das Motorrad parke. Er spricht mit dem Personal und ich werde in einen Raum im ersten Stock geführt, in dem um einen Tisch herum Sofas uns Sessel stehen – und den ich anscheinend für mich alleine haben darf. Ich bekomme einen Kaffee mit Schaum obendrauf, dazu gibts den Käsekuchen, den ich mir gestern Abend noch gekauft habe und ich lade meine Handy. Ich lege mich ab und döse ne Runde, dankbar für diese dringend benötigte Oase.

Ich höre, während ich liege, Musik von der Strasse herauf klingen. Irgendwann habe ich genug ausgeruht und beschliesse, Mickey zu treffen, den Gastgeber meines nächsten Gasthauses. Als ich das Hotel verlasse, gehe ich unten am Buffet vorbei, auf der Suche nach jemandem, bei dem ich bezahlen kann. Ein älterer Herr tritt auf mich zu, er trägt den traditionellen Nepalesen Hut und einen Schal, ich glaube er ist der Hotelbesitzer. Er fragt mich, ob ich essen möchte und ich befürchte schon, dass er mir einen voll beladenen Teller in die Hand drücken wird. Ich bin bei Mickey zum essen verabredet und möchte eigentlich nur bezahlen. Aber der freundliche Herr möchte mich unbedingt einladen. Er küsst meine Hand und ich versuche noch ihn zu überreden, den Kaffee zu bezahlen, aber keine Chance – am Ende nehme ich die Einladung dankbar an und folge der Musik, die nach wie vor kontinuierlich an meine Ohren dringt.

In etwa 50m Entfernung befinden sich ca 15 Frauen verschiedener Altergruppen in einem Raum, der zur Strasse hin geöffnet ist. Sie tragen alle eine Art festliches rotes Gewand, musizieren, singen und eine Frau tanzt, weiter hinten steht eine Art Altar. Vor dem „Laden“ stehen einige Plastikstühle, man bietet mir an, mich auf einen dieser zu setzen und ich nehme Platz. Allerdings nur sehr kurz, denn bald darauf werde ich quasi in den Mittelpunkt der Ereignisse gezogen, naja sagen wir sehr eindringlich eingeladen, ich gehe aus freien Stücken, aber ich werde zum Tanz gebeten. Ich versuche mich darauf einzulassen, die Dame zeigt mir die Bewegungen und ich ahme sie nach, es entsteht eine Art Tanz.Impro, die Frauen rasten ziemlich aus, es ist nicht gerade leicht, den Absprung zu schaffen, da sie mich am liebsten nicht gehen lassen wollen. Ich mache ein Video während ich tanze und die ein oder andere macht auch ein Video mit ihrem Smartphone. Wäre ich nicht so angeschlagen, vielleicht hätte ich noch ein bisschen länger durchgehalten, aber so sehe ich lieber, dass ich irgendwann die Biege mache. Ich bin tatsächlich einigermaßen erledigt und hoffe nun schnell Mickey zu finden und in seinem Haus anzukommen und auszuruhen.

Mickey kommt auf einer ziemlich sportlichen Motocross-Maschine und hat dieselbe Frisur wie ich – Glatze. Er machts kurz und sagt „Lets go!“ und ich folge ihm. Schon bald geht es eine ziemlich schwierige Schotterpiste ziemlich steil bergauf. Enge Serpentinen und verblüffend viel Gegenverkehr machen diese Teilstrecke zu einer echten Herausforderung. Leider wird sie nicht besser, sondern ganz im Gegenteil. Teilweise ist die Strecke nass und lehmig, dann extrem sandig, sodass man anfängt im Sand zu „schwimmen“. Dann gibt es einige richtig fiese Bodenwellen, die Steigung ist mörderisch, ich fange ein wenig an zu schwitzen, zumal Mickey ständig aus meinem Blickfeld verschwindet. Plötzlich rufen mir einige entgegen kommende Nepalesen etwas zu, sie hupen und sind ganz aufgebracht – ich schaue nach hinten und sehe, dass meine Tasche in ca 2 Metern Entfernung hinter mir her schleift. Ich halte sofort an und beginne damit, die Tasche wieder in Position zu bringen und fest zu zurren, dabei zerrreißt eins der Gummiseile. Ich merke, wie ich ein wenig schlechte Laune bekomme, zeitgleich mit einer inneren Stimme, die mich verurteilt dafür, dass ich meine Tasche nicht besser befestigt habe. Innerlich möchte ich es Mickey anlasten, warum hat er mich nicht gewarnt, dass diese Strecke so verfickt schwierig ist?! Er mit seiner Cross-Maschine hat gut Lachen! Ich versuche mich zu beruhigen und es gelingt mir alles zu befestigen. Ich will nur noch ankommen, Mickey ist inzwischen zu mir gefahren und hat mir geholfen, wir fahren weiter. Die EInfahrt zu seinem Grundstück ist nochmal extrem schwierig, ich kippe zum ersten mal auf die Seite und bin froh über den „Leg-Guard“ – eine Erfindung, die eigentlich an jedes Motorrad gehört, wie ich ab jetzt finde. Ich richte die Maschine wieder auf und fahre die letzten Meter – geschafft.

Das Haus unterscheidet sich deutlich von den anderen Häusern, die man hier sonst so sieht. ich bin total froh hier zu sein, das Zimmer und alles gefällt mir ausgezeichnet. Mickey ist ein exzellenter Gastgeber und liest mir alle Wünsche von den Lippen ab. Kurze Zeit später falle nach einer heissen Dusche und mit vollem Magen in einen sehr erholsamen, etwa zweieinhalb-stündigen Schlaf. Als ich aufwache, ist es bereits dunkel.

Mein Ärger ist verflogen, es tut mir regelrecht leid, meinen Scheiss auf Mickey projiziert zu haben. Wir lernen uns an diesem Abend ein wenig kennen und ich vermute stark, dass ich hier auf dem Rückweg wieder einkehren werde. Er ist sehr offen und erzählt mir von seiner Familie, lässt mich an seinem Leben Teil haben. Er spricht mit lauter Stimme, wir essen zusammen zu Abend und sprechen über den Tod seiner Eltern, seine Kinder, aber auch über Nepal, Politik, den sich anbahnenden dritten Weltkrieg. Die Themen Streifen den Einfluss der Amerikaner in Nepal, die Sprengung von Northstream und natürlich Corona. Mickey erzählt mir, dass er chinesische militärische Interventionen in Nepal befürchtet, sollten die Amerikaner ihren Einfluss und ihre Präsenz weiter verstärken. Er fragt mich zu meiner Meinung zu 9/11 und ich zeige ihm, wie WTC 7 einstürzt wie ein Kartenhaus – das kannte er noch nicht.
Als ich ins Bett gehe, bemerke ich es: auf der Suche nach dem Ibu-Blister, das ich mir auf den Nachttisch legen möchte, stelle ich fest, dass meine Jacke offenbar bei der Aktion mit der heruntergefallenen Tasche mit runtergefallen ist und ebenso die langärmeligen Handschuhe. Ich schnappe mir die Taschenlampe, die da hängt, und möchte noch einmal den Weg absuchen. Mickey meint wir nehmen sein Auto und wir fahren noch einmal zu der Stelle, suchen alles ab, auch die 200 Meter weiter unterhalb. Wir finden meinen Fleecepulli, den hatte ich schon ganz vergessen, vom Rest muss ich mich wohl leider verabschieden. Ich bedanke mich bei Mickey für die Unterstützung und gehe schlafen – ich fühle mich hier wirklich gut aufgehoben.

Am nächsten Tag reise ich ab. Ich wäre noch einen Tag geblieben, aber Mickey empfängt eine große Biker-Gruppe von Australiern, die bei ihm das ganze Haus in Beschlag nehmen wird. Er leiht mir kurzerhand Handschuhe und Jacke aus und ich freue mich, einmal mehr zu realisieren, dass alles überall vorhanden ist, ich muss und möchte mich nicht wegen der Jacke grämen. Nach einem weiteren sehr anregenden Gespräch und einem ausgedehnten Frühstück mache ich mich auf den Weg zu meinem nächsten Halt: die heissen Quellen bei Tatopani. Ich möchte mich weiterhin schonen, auch wenn es mir schon etwas besser geht. Ich habe Respekt vor dem „Abstieg“, aber es geht alles gut ich bin guter Dinge für die nächste Etappe.

Mickey from Heritage at Mallaj and me

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