Ich fahre also mit Rückenwind los, meine Etappe bis Tatopani (Heisse Quellen) ist laut Navi nur eine Sache von einer Stunde und zwanzig Minuten. Ich bin so beschwingt, dass ich vergesse in Beni noch Ibus und ne Mütze zu kaufen (beides war in der verloren gegangenen Jacke). Immerhin: zu tanken vergesse ich nicht – laut der Aussagen mehrerer Hinweisgeber ist die letzte Tankstelle diese am Ausgang von Beni. „Full, full“ sage ich und bezahle 950 NPR. Auch löse ich das bisher eigentlich nervigste Problem: der etwas zu kleine Helm, der nach einer knappen Stunde ziemlich auf den Schädel drückt und dadurch meiner Entspannung im Weg steht. Ich nehme einfach das Inlay heraus und verstaue es in meinem Müllsack, der mir als 2te Gepäcktasche dient. Dann gehts los, die Straße ist zum Teil sehr schlecht, also zumeist nicht asphaltiert, Kies, Sand, Pfützen wechseln sich ab mit Steinen aller Größen. Trotzdem nehme ich einen Anhalter mit oder besser gesagt einen Fußgänger, der in meine Richtung läuft. Er ist ganz schön schwer und einmal muss ich ihn bitten abzusteigen, um die rutschige Schlammschlacht sicher zu manövrieren. Ich erinnere mich daran, dass neulich einmal zwei Jungs mitfahren wollten, also die wollten beide mit, sodass wir dann zu dritt auf der Mühle gehockt wären – da hab ich aber abgelehnt, das war mir zu riskant. Ich frage mich schon, wie lange der 90KG Mann mitfahren will, da kommen wir an eine Straßensperrung. Ich sehe einen Bagger, der versucht die Strasse frei zu räumen. Davor ein riesiger Steinklotz und jede Menge Sand und weiteres Gestein, es sieht aus, als sei die Böschung von oben auf die Strasse herab gestürzt.
„Eine Stunde“ sagt man mir, solle das dauern. Für mich sieht das eher nach einem Tag aus, allerdings hatte ich, wie sich herausstellen wird, die Fähigkeiten eines Baggers unterschätzt.
Interessant wird es, als ich von mehreren Nepalesen angesprochen werde, von denen mindestens zwei ziemlich offensichtlich stark alkoholisiert sind. Besonders der eine schießt sich auf mich ein und belässt es nicht beim üblichen „Woher kommst Du, wie lange bist Du in Nepal“ usw. Er macht, während mit mir Konversation zu machen vorgibt, immer wieder Kommentare in Richtung seiner Freunde auf nepalesisch, diese lachen und es ist wohl nicht beabsichtigt, dass ich verstehe, was gesagt wird. Ich bin alarmiert. Eine Stunde kann auch lang werden, denke ich, und versuche den Blicken nicht übermäßig zu begegnen, ich fokussiere mich lieber auf einen anderen jungen Nepalesen, der auch Interesse an mir zu haben scheint, aber nicht zu den Trunkenbolden gehört. Der eine, der mich immer wieder versucht einzubeziehen mit den üblichen Alkohol-getränkten Phrasen, hat abgerissene Kleidung und hat sich vermutlich einige Tage oder Wochen nicht gewaschen, der Alkohol steigt aus seinen Poren. Ich rieche ihn auch deshalb so gut, weil er immer wieder unverschämt nah kommt, er berührt mich sogar mehrmals, überschreitet eindeutig die Grenze eines respektvollen Umgangs. Ich bleibe ruhig und gehe einige Male auf ihn ein, um mich dann einige Schritte zu entfernen und mich dem Bagger zu zuwenden. Es dauert nicht lange und er kommt zu mir hin, hockt sich auf den Boden und bedeutet mir, auch ich solle mich hinhocken. Ich komme seinem Wunsch nach, allerdings kann mir schon ungefähr denken, was kommt. Er spricht davon, wie „handsome“ (gutaussehend) ich sei und davon, dass er traurig sei. Ich sage ihm, dass ich ihn eigentlich mehr „handsome“ finde als mich und, dass ich auch manchmal traurig sei. Er fragt mich, ob ich nicht eine Zigarette für ihn hätte. Die ganze Aktion zielt genau darauf ab, etwas von mir zu bekommen und ich kann guten Gewissens antworten, dass ich Nicht-Raucher bin. Dann sage ich, dass ich jetzt auftstehen werde und stelle mich wieder hin. Er macht weiter und spricht jetzt davon, dass er drei Töchter hat und irgendwie nehme ich ihm das sogar ab, dass ihn das Thema bedrückt, da er sich vermutlich nicht um die Kinder kümmert. Ich erzähle ihm, dass ich auch ein Kind habe. Und frage ihn, ob er seine Töchter sieht, ob alles okay sei. Er antwortet, alles sei super und er total happy – diese Reaktion auf meine Frage ist ein Automatismus, ich kaufe ihm nichts davon ab, es passt überhaupt nicht mit dem zusammen, was er davor gesagt hat und mit dem Bild, das er von sich gibt. Ich konfrontiere ihn damit, dass ich ihm nicht glaube und bin gespannt, wie die Situation sich entwickeln wird. Und dann passiert etwas, das mich doch überrascht: er entschuldigt sich tatsächlich bei mir für sein unehrliches Gerede. Dann ist ganz plötzlich die Strasse frei und ich starte meine Maschine.
Die Strasse ist zum großen Teil Dirtroad und in Abschnitten herausfordernd, aber da die Strecke heute insgesamt sehr überschaubar ist und ich mich auf dem Weg der Gesundung befinde, treffe ich nach gut zwei Stunden in Tatopani ein. Vielmehr als eine winzige Gasse mit einigen Gasthäusern gibt es dort nicht – ausser mir scheint es keine weiteren Touristen zu geben. Ich wähle das „Dhaulagiri Lodge and Restaurant“, da ich über Mickey, bzw einen seiner Gäste herausgefunden habe, dass es dort einen schönen Garten geben soll. Das Personal vom Hotel sind lauter Jungs im Alter von ca 14 oder 15 Jahren. Einer von ihnen zeigt mir zwei unterschiedliche Zimmer und bietet mir dann auch gleich das teurere von beiden zum billigeren Preis (500NPR) an, ich sage zu und freue mich, als ich bemerke, dass zwei Holländerinnen meine Nachbarn sind.
Den Großteil des Nachmittags verbringe ich in den HotSprings. Auf dem Weg dorthin (es sind ca 200 Schritte) sehe ich einen Nepalesen am Fluss stehen und rauchen. Es sieht irgendwie idyllisch aus und ich mache eine „Foto-Geste“, so als ob ich ihn mit den bloßen Händen fotografieren könnte. Er lächelt und fragt mich „Where are you from“, ich sage „Germany“ und er darauf „Ich auch.“ – Damit hatte ich nun jetzt – wieder einmal – überhaupt nicht gerechnet.
Saral aus Münster
Saral hat ein rundes Gesicht und sehr warme, freundliche Rehaugen. Während wir im heissen Pool liegen, erzählen wir uns unsere Geschichten. Er ist 28, Ausbilder im Maschinenbau. Seine Eltern sind bereits vestorben, sein Vater wurde unlängst eingeäschert, hier ganz in der Nähe – das ist auch der Grund seines 6-wöchigen Aufenthalts, er ist gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester hier, mit der er in Münster zusammen lebt. Der Großteil seiner Familie lebt inzwischen in Deutschland, nur ein Cousin ist noch hier, und kümmert sich um die ganzen Häuser, die sonst völlig zerfallen würden. Als ich ihm erzähle, dass ich auf dem Weg nach oben bin, in kältere Gefilde, bietet er mir an, ihn am nächsten Tag in seinem Dorf besuchen zu kommen. Er könne mir dann seine Thermo-Unterwäsche geben, die brauche er jetzt nicht mehr. Darüber freue ich mich sehr und wir sind uns einig, dass alles da ist, wenn man es braucht.
Am Abend freue ich mich über eine heisse Zitrone und über ein gutes Abendessen. Ich bestelle Veg-Omlette, Reis und Salat, vermische alles miteinander und bin damit sehr zufrieden. Die Holländerinnen erzählen mir von ihrem Trek, sie waren über über 5400m hoch bei Thorang La Pass und ich staune darüber, da sie auf mich keinen übermäßig fitten Eindruck machen. Jedenfalls sind sie überglücklich, dass sie es geschafft haben. Ihr Guide ist natürlich auch dabei, ich leihe mir von ihm Nadel und Faden, um meine Hipbag zu reparieren. Von ihm lerne ich auch, dass man einen Reißverschluss in beide Richtungen ansetzen kann, das war mir neu. Ausserdem hilft er mir dabei, meine Enfield nach drinnen rein zu parken. Ein Bekannter aus Pokara hatte mir das empfohlen, da in den Bergen immer wieder Benzin geklaut wird, sei das besser. Auf der einen Seite möchte ich nicht mit so einem Mißtrauen reisen. Auf der anderen Seite möchte ich gern definitiv ausschliessen, dass mein Tank vorzeitig entleert wird. Ich hoffe dass ich gut schlafen kann, die Betten hier haben keinen Matzratzenbezug und keine frische Bettwäsche. Und es könnte jetzt nachts durchaus kalt werden.
Am nächsten Morgen bin ich erholt, die Decke war anscheinend warm genug. Und durch meine vielen Reisen habe ich inzwischen gelernt, mich nicht verrückt zu machen, wenn es im Bett mal hier und da ein bissschen krabbelt oder juckt. Ich stehe auf und trinke ein Jambu-Pani, Saral hat mir den Tipp gegeben. Es ist ein roter, heisser Trank aus verschiedenen Kräutern, unter anderem Kurkuma – also genau das richtige für mich in meinem Zustand. Es gibt mir ein befriedigendes Gefühl, an Orten, an denen ich die Kultur nicht kenne und die Sprache nicht spreche, dennoch genau die Dinge organisiert zu bekommen, die meinem Körper und mir gut tun.
Nachdem ich losfahre, sinkt mein Handy Akku plötzlich von 90 auf 2 %, ich schaffe es so nicht mal mehr Saral zu erreichen bzw sein Dorf. Ich frage also am Straßenrand ob ich Strom und Wifi bekommen kann. Dann holt mich Santosh, Sarals Cousin ab, es ist ein Bild für die Götter, denn sein mega süßer, 3 jähriger Sohn sitzt vorn auf der Maschine, Ich folge den beiden ein gutes Stück den Berg rauf, dann biegen wir ab. Wir fahren mitten in eine Siedlung, hier kennt jeder jeden, am Ende fahren wir eine steile Rampe hoch – und sind da.
Wir parken auf einem kleinen Platz, der mit Steinplatten ausgelegt ist und auf fast allen Seiten durch kleine Hütten begrenzt wird. Auf der linken Seite sitzt Saral etwas oberhalb, dort ist ein Arbeitsplatz mit einer alten Nähmaschine eingerichtet. Da sind viele Menschen, die Frau von Santosh und sein Vater, aber auch andere, die anscheinend nicht zur Familie gehören, ich werde für etwa 2 Stunden bleiben und vor allem die Gespräche mit Saral, der mich noch hoch zu einem Shiva-Tempel führt und mich ein wenig einweist, mit hoch in die Berge nehmen, es fühlt sich an, als sei ich hier goldrichtig, als sei die Begegnung eine weitere bedeutungsvolle auf meinem Weg.
Und weil dieser Text jetzt schon ganz schön lang ist, schreibe ich mehr über die Begegnung mit Saral und seinem Dorf im nächsten Text.
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