Enfield Diaries

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Ich schreibe wieder, vielleicht auch, weil ich wieder etwas zu erzählen habe. Ich hatte schon länger geplant, dem Berliner Winter 22/23 zu entfliehen und Thailand gebucht, Anfang Januar bis MItte März. Kurzfristig habe ich dann von Pattaya aus 3 Wochen Nepal gebucht, aus einem inneren Impuls heraus und nur mit der ungefähren Idee, mit einer Royal Enfield das Land zu erkunden. Dieser Text entsteht nun während ich diese Idee in die Tat umsetze. Die erste (und vermutlich gefährlichste) Etappe liegt bereits hinter mir – wobei sie auch wieder vor mir liegt, da ich ja auch noch zurück muss. Als nächstes gehts in den unteren Mustang.

Die Idee nach Nepal zu kommen, entstand auf einer meiner Indien-Reisen, vermutlich 2018. Die Indien-Reisen 2018 und 2019 wiederum entstanden in einer Zeit, in der die Trennung von der Mutter meines einzigen Kindes mein Leben überschattete. Um genau zu sein, war der Schmerz darüber, keine Familie leben zu können, so groß, dass die Einladung dreier Russinnen, sie in Goa, Indien zu besuchen, diesen zwar nicht lindern konnte, aber doch zumindest so etwas wie einen Strohlam darstellte, durch den ich möglicherweise wieder etwas Positives in mein Leben bringen könnte.

Und ich weiß auch nicht genau warum ich soweit aushole, aber es wird schon seinen Sinn haben.

Ohne, dass ich es groß geplant hätte, führte mich mein Leben also jetzt, im März 2023, hier hin, nach Nepal, die Baghavad-gita im Gepäck, aber vor allem mit einem inneren Antrieb, meine Ängste zu erforschen und weiter zu gehen, möglicherweise in Erfahrung zu bringen, was mich eigentlich hierher führt.

Enfield als Wegbereiter

Es war auf diesen Indienreisen, dass ich bemerkte, dass ich seit über 20 Jahren Motorrad fahre. Dass ich bemerkte, dass ich das gut kann, weil ich darin einfach viel Erfahrung habe. Ich bin jahrelang in Berlin mit meinem Motorrad zur Arbeit gefahren, immer quer durch die Stadt, zu verschiedenen Studios, das tägliche fahren hat mich sozusagen trainiert. Ich hatte das Motorrad allerdings immer nur als Mittel zum Zweck gesehen, als gescheite Art, sich fortzubewegen, man ist einfach schneller als im Auto unterwegs..
Erst in Indien wurde mir bewusst, dass meine Erfahrung im Motorradfahren gewissermaßen eine Befähigung darstellt, also wirklich einen Wert hat. Da ich dazu neige, mich selbst klein zu machen und nicht zufrieden zu sein mit meinen Fähigkeiten, war das durchaus ein besonderer Moment. Ich habe zwar viele Talente, aber zumeist fange ich die Dinge nur ein bisschen an, ohne wirklich Meisterschaft in ihnen zu erlangen – etwas, das ich mir selbst dann vorwerfe und mich damit wieder erniedrige. Anders war es damals in Indien. Ich bemerkte, dass es mir gewissermaßen leicht fiel, mit dem Motorrad dort (am liebsten ohne Helm) durch die Gegend zu ballern, es machte mir Freude – auch, weil es mir ein gewisses männliches Gefühl gab – und ich konnte sozusagen dabei zuschauen, wie ich gewisse Ängste ablegte, die natürlich immer aufkommen, wenn man etwas zum ersten mal macht.
Also die Tatsache, dass ich eben nicht zum ersten mal Motorrad fuhr, sondern zum Zehntausendsten mal, ermöglichte mir, zum ersten mal in Indien Motorrad zu fahren. Natürlich war ich aufgeregt, als ich mir zum ersten mal eine Enfield von einem Gangster-Inder in Goa auslieh, statt einen „Scooter“ vom Scooter-Verleih. Aber ich hielt seinen Blicken stand und verhandelte sogar gut, denn ich hatte die richtigen Informationen und zudem auch die richtigen Kontakte. Ich staunte, wie einfach das war und wie günstig und die Aufregung blieb und gleichzeitig war ich auch ein bisschen stolz auf mich. Das, was ich da mit mir selbst erlebte, das war meins. Mein Erlebtes, meine Erfahrung die ich hier erlebte, ohne dass ich es groß geplant gehabt hätte. Keine Kopfgeburt, sondern geboren aus den Dingen, den Ereignissen selbst. Ich fuhr ja nicht nur mit der Mühle zum Ecstatic Dance und wieder zurück. Ich hatte auch öfters Mitfahrer (und Mitfahrerinnen!) und vor allem: ich machte meine erste längere Solo-Fahrt nach Hampi und Gokharna.

Vlad, der damalige Freund einer der drei Musikerinnen, schenkte oder besser gesagt lieh mir damals seine „Lucky-Jeans“ und gab mir ein paar wertvolle Tipps. Er war sozusagen eine Hilfe des Universums, ein Wegbereiter, der mir im Grunde genommen – neben vielen anderen Menschen und Einflussfaktoren – erst ermöglichte das zu tun, was ich zuvor noch nie getan hatte und meine Angst gerade um soviel beruhigte, dass ich losfahren konnte.

Ich hatte mir damals vorgenommen, einfach mal nach Hampi zu fahren, wohlwissend, das das indische Hinterland eine sämtlich andere Situation darstellt als die Küstenorte Goas, wo alles auf Tourismus zugeschnitten ist und jeder englisch spricht. Mir war klar, dass ich eine Welt betreten würde, die nicht auf mich gewartet hat. Ich würde mich in eine Sphäre begeben, in der ich komplett auf mich allein gestellt sein würde – einmal abgesehen vom der immensen technischen Hilfe, die mir mein Smartphone samt mobilem Internet, im Speziellen die Goolemaps App bieten würde.

Aber die Technik – Handy und Mopped – kann ausfallen. Und genau an diesem Punkt beginnt die Reise mit der Angst. Denn Deine Angst sind die Gedanken, die aufkommen, die ständige Suche nach dem, was im Schlimmsten Fall passieren könnte. Plus das Unbekannte, die mangelnde Erfahrung in einem gänglich andersartigen Umfeld, die sozial komplett andere Situation, die Tatsache, dass man Dich als weiß und damit als Tourist, als Ausländer, als wandelnde Geldbörse oder was auch immer jederzeit sofort erkennen kann. Denn die Orte, in die ich fahren würde, würden frei von Tourismus sein und ich insofern der einzige Weiße unter vielen nicht Weißen.

Ich bin dabei sicher, dass Deine Ängste andere sein werden als meine. Aber ich bin mindestens genauso sicher, dass auch Dein Verstand in einer solchen Situation Gründe finden wird, Stress zu bekommen und sich zu sorgen, anstatt die Fahrt zu genießen.

Also zurück zum Motorradfahren. Wenn ich fahre, möchte ich nicht in Angst fahren. Wenn ich verkrampft auf der Mühle hocke, kann ich besser gleich zu Hause bleiben. Die Kunst, die ich lernen möchte, ist es, auf der Maschine durch fremde Länder zu ballern und dabei frei zu sein. Auf ner Enfield kann man so wunderbar die Brust rausstrecken und mit geraden Rücken sitzen, die Hände liegen lässig auf dem Lenker, die Position ist fast eine Art Meditationssitz. Allerdings möchte ich jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass ich so von Anfang an gesessen habe – ganz im Gegenteil. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es um mein Mindset bestellt war, also ich in aller Frühe aus Arambol losfuhr. Habe ich an alles gedacht? Oder habe ich irgendwas wichtiges vergessen? Ist das Motorrad in Ordnung? Wird es nicht zu kalt sein, wenn ich so früh losfahre? Halten die Gummibänder mein Gepäck fest genug? Etc.

Nun, soweit ich mich erinnere erhielt ich schon sehr bald zumindest Antwort auf eine dieser Fragen, nämlich auf die mit den Gummibändern. Ich war ungefähr eine Stunde gefahren und ziemlich aufgeregt, denn die Strassen und Orte waren in ihrer Wirkung auf mich schon bald komplett anders als die Gegend die ich kannte und irgendwie waren die ganzen Strassen und Ecken und Dinge kaum voneinander zu unterscheiden, alles war derartig beschaffen, dass ich sofort aufgab, meinen ansonsten eigentlich sehr ausgeprägten Orientierungssinn irgendwie gewinnbringend einzusetzen. Ich versuchte mich stattdessen darauf zu konzentrieren, das Motorrad fachmännisch zu bedienen und die Bremshügel nicht mit übertriebener Geschwindigkeit, sondern einigermaßen gefühlvoll zu passieren. Ich weiß nicht mehr, warum ich anhielt, ich glaube es war einer diese Hügel, den ich wohl etwas zu spät erkannt hatte und entsprechend arg darüber hinweg bretterte. Ich checkte mein Gepäck und.. stellte mit leichtem Entsetzen fest, dass ich nun eine Tasche weniger dabei hatte. Auch die Ersatzflasche mit Benzin hatte sich verabschiedet und mein Gehirn wollte kurz in den Panik Modus wechseln, bevor es sich beruhigte. Ein kurzer gedanklicher Check ergab, dass in der Tasche nichts wirklich Unabdingbares war, irgendwelcher Kram, der entweder ersetzbar oder aber einfach nicht existenziell war. Natürlich überprüfte ich als erstes die Strecke hinter mir, aber da lag nichts. Umkehren? Ein kurzer Gedanke, den ich rasch verwarf. Irgendetwas in mir rebellierte dagegen, Umkehren war keine Option.

Fortsetzung folgt


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