Warum Kinder  nicht in Therapie gehören

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frei nach Daniel Mackler, ehem. Psychotherapeut in New York

  1. Die Probleme, die Kinder durchmachen, kommen oft aus den Familiensystemen, in denen sie leben. Aus der Beziehung zu ihren Eltern oder aus der Beziehung zwischen den Eltern. Wenn Kinder Probleme haben durch das Familiensystem oder die Elternbeziehung, dann sollten die Erwachsenen zur Therapie gehen und nicht die Kinder, um diese Probleme zu lösen. Häufig möchten Eltern  oder ein Elternteil ihr Kind in Therapie geben, aber sind selbst nicht bereit in Therapie zu gehen. Anstatt das Problem in der System Dynamik zu lösen, wird das Problem auf das Kind externalisiert. Indem das Kind in Therapie gegeben wird, wird es stigmatisiert. Es gibt immer eine unterschwellige Botschaft, die hier dem Kind vermittelt wird, nach dem Motto: “Du bist hier das Problem”, jemand von aussen muss sich um Dich kümmern. Das ist hochproblematisch, denn das Kind wird diese unterschwellige Botschaft wahrnehmen und in seine eigene Geschichte von sich einbauen. Es lernt, dass jemand anderes von aussen es “in Ordnung bringen muss”, und es lernt, dass es selbst nicht, so wie es ist, in Ordnung ist. Kinder bekommen ihre Probleme aus der äußeren Welt und diese äußere Welt besteht bei Kindern  in erster Linie aus den Eltern, der Familie. Wenn Kinder eine wirklich starke, gesunde, intime und nährende, fürsorgliche, offene, ehrliche Beziehung zu den Eltern haben, die ihrerseits mental gesund sind und sich um ihren eigenen Heilungsprozess kümmern, können Kinder eine Menge Unerfreuliches abfedern, sie sind dann sehr gut dazu in der Lage, Probleme aus der äußeren Welt zu verarbeiten, sind sozial stärker, haben mehr Freunde und werden weniger oft gehänselt. Wenn Eltern wirklich glauben, Therapie könne helfen, dann sollten sie zunächst sich selbst austherapieren, umso bessere Eltern für ihr Kind zu werden und dieses somit optimal zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass das Kind somit resilienter wird.
  1. Ein weiterer wichtiger Punkt, warum Kinder nicht in Therapie gehören, ist, dass der Klient in einer Therapie stets autonom sein sollte und den Weg in die Therapie aus sich heraus, aus seinem eigenen freien Willen heraus wählen sollte.  Für die therapeutische Arbeit ist es wichtig, dass der Klient unabhängig ist und nicht beauftragt wurde. Die Erfahrung zeigt, dass Therapie in Fällen, in denen der Klient beispielsweise durch ein Jugendamt oder eine andere, ihm vorgesetzte Instanz zur Therapie gebracht wird, die Aussicht auf Heilungserfolg sinkt. Kinder sind aufgrund der systemischen Machtverhältnisse grundsätzlich nicht autonom. Wenn es innerhalb ihres Systems nicht erlaubt oder es ihnen nicht möglich ist, sich dem Therapiewunsch eines Elternteils zu widersetzen, wird das Kind zwar behaupten, die Therapie zu wünschen, sie aber letztlich dem Wunsch der Eltern/einem Elternteil entsprechend antreten.

Auch die mögliche Einschränkung von Offenheit und Ehrlichkeit, die mit der Situation oftmals einhergeht, kann für den Therapeuten zum Problem werden, da er bestimmte Problemlagen (wenn z.B. die Eltern völlig überfordert oder selbst mental krank sind) gegenüber dem Kind nicht ohne weiteres kommunizieren kann, weil dies möglicherweise beim Kind zu weiteren Schäden führt. Problematisch ist auch, dass die Familiensysteme häufig eine Heilung und das Wachstum des Kindes gar nicht zulassen, es also “verbieten”, dass das Kind bestimmte Entwicklungsschritte macht. Im Falle von Heilung (hier gleichbedeutend mit Wachstum, Zunahme von Mut und Kreativität beim Kind, also Veränderung) kann es somit  zu Attacken aus dem System heraus auf das Kind kommen und die Probleme in der Folge eskalieren. Kinder in Therapie bekommen durch mögliche Erkenntnisse und Erleichterungen, die therapeutisch gewonnen werden, zunehmend das Problem, dass sie sich weiterhin dem Familiensystem anpassen müssen – ein für das Kind belastender und kaum schaffbarer Vorgang, der nur mit weiterer “Verformung” gelingen kann, ohne zu eskalieren.

Für den Therapeuten ist die Situation oftmals auch sehr schwierig, da er möglicherweise Wahrheiten über das System (ergo: die Eltern) zu Tage fördert, also  “gegen” die mächtigeren Figuren aus dem System agiert, während er sich darüber bewusst ist, dass diese das Kind an der freien Entfaltung hindern und gleichzeitig durch das Bezahlen des Therapeuten  die Probleme auf das Kind externalisieren. Der Therapeut, dem diese Limitierung von Wahrheit gegenüber den Mächtigen im System bewusst wird, läuft dann Gefahr, ein “Agent” der Eltern/eines Elternteils oder ein „Surrogat“ der Elternstimme zu werden. Auch sehr wohlwollende Therapeuten senden unterschwellig dem Kind die Botschaft, dass es selbst das Problem ist. Eine Verbindung mit dem Kind in Opposition kommt i.d.R. nicht in Frage, so wie man es in der Ausbildung zum Sozialarbeiter lernt: “Verbünde Dich nie mit dem Kind gegen die Eltern! Das ist sehr sehr riskant!” Was ist das für ein Beruf, indem man mit einem Kind nicht ehrlich sein darf über das, was man sieht? Ein wirklich guter Therapeut wird, bevor so ein Punkt von Unehrlichkeit eintritt, die Eltern therapieren wollen, sich also an die Eltern und nicht an das Kind wenden wollen. Und hier zeigt die Erfahrung, dass an diesem Punkt viele Eltern/Elternteile dann kein Interesse daran haben und nur ihr Kind “gefixed” haben wollen, anstatt selbst mitzuhelfen in dem Prozess, letztlich dem Kind Last abzunehmen. Stattdessen soll der Therapeut das Kind so zurechtbiegen, bis es passt.

  1. Ein weiterer Grund dafür, dass ich denke Kinder gehören nicht in Therapie ist dieser: Ich habe mir die Therapeutinnen und Therapeuten, die mit Kindern arbeiten angesehen. Und man muss ja einmal grundsätzlich, wenn wir über Therapie sprechen, feststellen, dass das Machtgefälle zwischen Therapeut und Klient gigantisch ist. Auf der einen Seite der Therapeut, in der Position des “Wissenden”, des “Führenden” – und auf der anderen Seite der Klient mit seinem Ausgeliefertsein, seiner Verletzbarkeit, in der Position des Hilfe suchenden und nach oben schauend. Diese Rollenverteilung ist in jeder Therapie gegeben, allerdings wird das Machtgefälle nun nochmal drastisch vergrößert, wenn auf der Seite des Klienten nun ein Kind sitzt. Kinder sind in unserer Gesellschaft sehr machtlos. Und es ist leider keine Seltenheit, dass Therapeuten, die mit Kindern arbeiten, eine (oft unbewusste) Anziehung dieses Machtgefälles anzieht, sie diese Situation als angenehm empfinden. Eine Person, die keine Macht hat, in eine Umgebung zu schicken, in der es solch ein starkes Machtgefälle gibt, ist schwer nachvollziehbar und man muss schon annehmen, dass viele dieser Therapeuten, die das machen, das schon mögen müssen, um das überhaupt machen zu können.

Grundsätzlich ist meine Botschaft als Therapeut: Kinder brauchen exzellente Eltern und keine Therapeuten, die als Eltern-Surrogat agieren. Eltern die sich ihrer unglaublichen Verantwortung bewusst sind und die sich selber auf den Weg machen, ihre Traumata zu heilen, die verstehen, dass ihre Elternrolle auch beinhaltet, die eigenen Themen zu lösen, das Familiensystem zu heilen, Eltern, die für ihre Kinder da sind, sie beraten und liebevoll führen, anstatt es in Therapie zu geben.


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