Shifting Baselines

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Shifting Baselines könnte man ins Deutsche mit „Veränderung der Norm“ oder „Veränderung der Bezugslinie“ bezogen auf eine Gesellschaft übersetzen. Klassischerweise wird damit die sukszessive aber stetige Veränderung des Status Quo gemeint, also desjenigen Zustands, der gerade als „normal“ empfunden wird.

Beispielsweise war die Brutkastenlüge (1990) bzw. das Ausbleiben des öffentlichen Eklats darüber eine Veränderung der Norm – ganz offenkundig hatte man die Öffentlichkeit von Staatsseite aus getäuscht, um einen Krieg zu beginnen. Als dieses Verbrechen dann aufgedeckt wurde, sah man es offenbar nicht für notwendig an, dieses amoralische Verhalten von offizieller Seite aufzuarbeiten.

Die Anschläge vom 9.September 2001 waren auch so ein veränderndes Ereignis. Niemals zuvor hatte man ein einziges Ereignis derart medial dargestellt und niemals zuvor hatte man bis dahin die Bürgerrechte derart eingeschränkt – die Einschränkungen der Bürgerrechte und weitreichende Geheimdienstbefugnisse, die auch Europa betreffen (Patriot Act 1+2), sind übrigens seitdem in Kraft und wurden nicht zurückgenommen.

Die Snowden Enthüllungen waren ein weiterer Meilenstein, der unsere Perzeption der Welt nachhaltig verändern sollte. Inzwischen wissen wir, dass die „Five Eyes“, also die Geheimdienste der Amerikaner, Briten, Canadier, Australier und Neuseelander mithilfe der Programme Prism und Tempora den weltweiten Internetverkehr mitlesen bzw. abscannen. Ich persönlich hatte in den letzten Jahren definitiv eine Shifting Baseline, da sich meine Lebensrealität dahingehend verändert hat, dass meine Kommunikation grundsätzlich überwacht wird, wodurch natürlich das eigene Verhalten auch beeinflusst wird.

Snowdens Enthüllungen hätten eigentlich zu einem Aufschrei führen müssen, dieser blieb aus. Auch Corona verändert die Bezugslinien unserer Gesellschaft drastisch.

So gewöhnen wir uns langsam aber stetig an eine veränderte Realität, an das Verschwinden des Privaten, an eine Aushöhlung der Bürgerrechte und an totale Überwachung – wobei diese Veränderung niemals unsere Zustimmung bekommen würde, wenn sie nicht schleichend passieren würde.

In diesem, bereits Jahre zurückliegenden, Interview erklärt der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer anhand des Milgram Experiments (im Video ab Min 20:50) die psychologische Dimension der sich langsam verändernden Lebensrealität. Es falle dem Individuum mit jedem Schritt schwerer, den bereits eingeschlagenen Weg zu korrigieren, da dies die schwierige Einsicht verlangt, dass man in der Vergangenheit eine falsche Entscheidung getroffen habe.

Die heutige Parallele zum Milgram Experiment ist die Autorität („Die Wissenschaft“), die auch derzeit in der Corona Krise den Druck auf das Individuum aufbaut. Ein spannendes Gespräch über Autonomie und gläsernen Bürger, in dem auch NSA Affäre (2013) und Verfassungsrichterin Juli Zehs Antwort darauf („Angriff auf die Freiheit„) angerissen werden.


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