Ulf Poschardt ein Blender?

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Ist Ulf Poschardt ein Blender? Ich weiß es nicht. Was soll man von einem Mann halten, der mit seinem Buch „Shitbürgertum“ das Lager der woken Links-Grünen Diskursvorgeber anprangert, aber auf der Bühne der Phil.Cologne tatsächlich gendert? Man freut sich, wenn man Poschardt sieht, während er sich über die Polizei S-Klasse aufregt, die zu Coronazeiten beinahe Jugendliche im Park überfährt. Poschardt hat begriffen, dass wir bei Corona belogen wurden und er ist ein Mann von Gewicht, zumindest gewinnt man schnell diesen Eindruck – seine sonorige Stimme ist laut, er ist ein Mann im besten Alter und sitzt in der Chefetage der Welt Zeitung – einem Medium, das in den letzten Jahren durchaus mutig seinen Weg gegangen ist und ein breites Meinungsspektrum abbildet. Nun hat er einen 160 seitigen Essay herausgebracht und ich hatte mich drauf gefreut,auf seine Abrechnung mit dem „Shitbürgertum“, was ich grob übersetzen würde mit dem Teil des Bürgertums, der in den letzten Jahren alles gut oder ganz toll bis großartig findet, was unsere Regierung so anstellt. Seien es Verfassungs-widrige Corona Massnahmen, Migrationskollaps, Kampf gegen rrrrrrächts, Gender Sprache, Kriegsbeteiligung in der Ukraine aka Schutz „unserer“ Demokratie usw – alles stets flankiert vom moralischen Zeigefinger, denn: wir sind ja die guten Bürger! Nun, wie toll hätte ich es gefunden, wäre da mal eine dezidierte Abrechnung gekommen, aber leider: Fehlanzeige.

Wer sich mit Poschardt beschäftigt, weiß wahrscheinlich, dass dieser verbal-militanter Israel Exzeptionalist ist, dass er aus dem Netanjahu-Lager stammt, dem bzw dessen Regierung ich aus gegebenen Anlässen durchaus rassistische und faschistoide Denk- und Hanldungsarten zuordne. Wer Israel kritisiert, ist für Poschardt Anti-Semit – so einfach ist das. Dementsprechend bemüht Poschardt auch wieder mal die inzwischen laaaaangweiligen Anti-Semitismus Vorwürfe gegen Günther Grass und die Gruppe 47 – und damit das eigentliche Thema seines Buches, denn eben dieses scheint mir der Anti-Semitismus zu sein. Klar, da muss dann seitenlang nochmal ins Gedächtnis gebracht werden, was für Greueltaten die Nazis damals abgezogen haben, mehr noch: er spricht sogar davon, dass das Nazitum nicht zufällig in Deutschland, sondern erst aufgrund der deutschen Sprache eben genau dort entstanden sei. Was für ein grober Unsinn, da fasst man sich durchaus an den Kopf. Ich weiss nicht, aus welchen Gründen Poschardt das Anti-Semitismus Thema so am Herzen liegt – es passt jedenfalls nicht zu seinem sonstigen Erscheinen eines Liberalen, denn die Kriegsverbrechen Israels dürften jedem Liberalen schwer im Magen liegen. Vielleicht ist er persönlich involviert, oder er hat gute Freunde in Israel, die sich freuen über sein Buch, das quasi-oppositionell daherkommt, es in Wahrheit aber an wichtigen Stellen so gar nicht ist. Vielmehr versucht es noch einmal mehr, die Deutschen an ihre ewige Schuld zu erinnern – gutes Timing, wenn man bedenkt, dass die AFD in den Startlöchern steht und sich anschickt, endlich das Zeitalter anzubrechen, in der sich die Deutschen wieder selbstbewusst fühlen dürfen, und möglicherweise ein neuer, positiver Bezug zu ihrem Deutschland möglich sein wird, ohne sich dabei schuldig fühlen zu müssen – auch wenn es im letzten Jahrhundert eine schlimme Tragödie gab.
Das Hörbuch ist jedenfalls schludrig eingelesen und das Buch als solches ziemlich unnötig – eine für mich vertane Chance, denn es wäre tatsächlich wünschenswert, dass mal ein Mann mit Durchschlagskraft in Deutschland die herrschenden Verhältnisse offen anspricht – was Poschardt ja durchaus hier und da tut, das möchte ich ihm gerne lassen. Wer aber tatsächlich den Zusammenhang zwischen Nachkriegs-Generation und Moralaposteltum besser verstehen lernen will, dem sei das Buch „Die Wiedergutmacher“ von Raymond Unger empfohlen. Und hier, aus gegebenem Anlass, das wichtigste deutsche Gedicht der letzten 30 Jahre:

Was gesagt werden muss

Warum schweige ich, verschweige zu lange, was offensichtlich ist und in Planspielen geübt wurde, an deren Ende als Überlebende wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag, der das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte, weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir, jenes andere Land beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten – ein wachsend nukleares Potential verfügbar aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes, dem sich mein Schweigen untergeordnet hat, empfinde ich als belastende Lüge und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt, sobald er missachtet wird; das Verdikt ‚Antisemitismus‘ ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muss.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muss,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir – als Deutsche belastet genug –
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

(Günther Grass, zur Schenkung von Atomwaffen-fähigen Ubooten von Deutschland an Israel 2012. Israel besitzt seine etwa 500 atomaren Sprengköpfe illegal))


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