Neuköllner Kneipen-Fußballturnier nach Corona: Linke spielen nicht mit „Schmuddelkindern“

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Dieser Beitrag von Christian Kleinschmidt (Name geändert) ist ein Open-Source-Beitrag aus der entsprechenden Rubrik bei der Berliner Zeitung.

Der Autor wollte für die Bar Laidak antreten. Doch weil die linke Kneipe die Corona-Maßnahmen kritisiert hatte, lässt man sie nicht mitspielen. Was ist da los?

Es ist der Sonntag, an dem Spanien und England im Finale der Fußballeuropameisterschaft aufeinandertreffen. „Berlin – United by Football“ steht auf den Plakaten, die über die Hauptstadt verteilt sind. Neben dem großen Spektakel im Olympiastadion findet an diesem Tag auch ein kleineres Turnier statt, das Neuköllner Kneipenfußballturnier. Nur ist von dem Verbindenden nichts zu spüren: Mit einer Kneipe will man partout nicht spielen. Es geht um Corona. Was ist da los?

Man muss ein paar Jahre zurückgehen, um das Problem zu verstehen. Im Jahr 2018 wird das Neuköllner Kneipenfußballturnier erstmals veranstaltet, von der Kneipe, mit der man heute nicht mehr spielen will. Zahlreiche Bars aus Nordneukölln, zwischen HermannplatzSonnenallee und Tempelhofer Feld, folgen der Einladung der Schankwirtschaft Laidak. Gespielt wird im Werner-Seelenbinder-Sportpark bei Tasmania Berlin, dem schlechtesten Bundesligaverein aller Zeiten.

Es ist eine bunte Veranstaltung. Die Mannschaften, geschlechter- und generationengemischt, haben sich auch beim Auftritt ins Zeug gelegt, mit selbstgestalteten Trikots. Der Anhang begeistert mit witzigen Aktionen und improvisierten Gesängen. Manche der Spieler greifen zwischen den Spielen zu Bier und Zigarette. Am Rand der Veranstaltung werden Unterschriften gegen die Gentrifizierung in Nordneukölln gesammelt. Es geht nicht nur um den Sport, sondern auch ums Beisammensein.

Die meisten Kneipen, die beim Turnier antreten, versammeln ein linkes Publikum. Ob Punk oder Akademiker, Praxis oder Theorie, das ist erst mal egal. Weil man sich zum Fußball trifft, kommt man nicht in Verlegenheit, sich über den Nahostkonflikt, den schwelenden Krieg in der Ukraine, die Klimabewegung oder verschiedene Strategien im Kampf gegen rechts zu verständigen. Klar ist nämlich auch: Würde man damit anfangen, wäre es mit der Einigkeit wohl in kürzester Zeit vorbei.

2019 lädt das Laidak zum zweiten Mal zum Neuköllner Kneipenfußballturnier, es kommen neun weitere Mannschaften. Am Vormittag trudeln die Teams ein, es wird ein Turnierbaum geschrieben, später der Grill angeworfen und das Fassbier ausgeschenkt. Das Laidak muss sich in einem spannenden Finale im Elfmeterschießen der Villa Neukölln geschlagen geben, das Syndikat landet auf dem dritten Platz. Man will sich im nächsten Jahr wieder treffen. Doch 2020 ist Corona.

Nicht nur das: 2020 wird das Syndikat in der Weisestraße geräumt, bis heute steht der Kneipenraum leer, das Kollektiv zieht um. Über die Räumung wird groß in den Medien berichtet, auch über Luxemburger Briefkastenfirmen und Londoner Immobilienimperien, die dahinterstecken. Das Laidak beteiligt sich an den Protesten gegen die Räumung, die Kneipe ist ein Anlaufpunkt für Demonstranten. Eine einseitige Solidarität, wie sich später herausstellt, denn mit dem Laidak will man seit Corona nichts mehr zu tun haben.

Plakat zum zweiten Neuköllner Kneipenturnier.

Plakat zum zweiten Neuköllner Kneipenturnier.privat

Gerüchte, Kontaktschuld, Sippenhaft

2020 geht durch die Neuköllner Kneipen ein Riss. Nach den staatlich verfügten Schließungen wird Wirten und Barfrauen aufgenötigt, ihre Gäste zu kontrollieren. Erst kommt die Kontaktverfolgung, später die Nachweise über Test- und Impfstatus. Gerade für linke Kneipen, die niemals Aufpasser und Polizisten spielen wollten, eine Belastungsprobe, sollte man meinen. Weit gefehlt. Gerade unter Linken tut man sich bei den Kontrollen besonders hervor. Und auch bei der Denunziation anderer.

Wer mit Überzeugung seine Gäste kontrolliert, dem kommt verdächtig vor, wer das nur mit erklärtem Widerwillen tut. Und das ist beim Laidak der Fall, wo man beim Bier auch über Sinn und Unsinn der staatlichen Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung diskutiert. Das Laidak verbannt solche Diskussionen nicht aus den Kneipenräumen. So werden dort auch Nischenpublikationen wie „Der Erreger“ vorgestellt, die eine linke Maßnahmen- und pandemische Gesellschaftskritik formulieren.

Das führt zu Konflikten. Ein Teil der Betreiber des Laidak entschließt sich, eigene Wege zu gehen und eine neue Bar in Neukölln zu eröffnen. Gerüchte machen die Runde. Wer nie ins Laidak geht, findet sich durch anonyme Behauptungen auf Twitter bestätigt. „No place to be“, schreibt die Autonome Neuköllner Antifa, die sich als Szenepolizei aufspielt. Wer nun noch im Laidak trinkt, ist der Kontaktschuld verdächtig. Spielt nicht mit den Schmuddelkindern, tönt die hygienische Linke.

Auch das Kneipenfußballturnier bleibt davon nicht unberührt. Das Syndikat will nicht mit dem Laidak spielen und versucht auch andere Kneipen zu überzeugen, dass man nicht mit Leuten kickt, die kurz zuvor noch für einen auf die Straße gegangen sind, wohlgemerkt schon während der Corona-Zeit. 2022 findet das Turnier trotzdem statt, wieder mitveranstaltet vom Laidak. Doch ohne das Syndikat, das das Laidak nun aus dem Turnier zu drängen versucht. Das fruchtet wenig später.

2023 – die Corona-Maßnahmen sind inzwischen aufgehoben – scheitert der Versuch von Gästen aus dem Laidak, ein weiteres Turnier auf die Beine zu stellen. Das Syndikat hat nun genug Kneipen auf die Linie eingeschworen, dass man mit „Schwurblern“ nicht einmal mehr Fußball spielt, geschweige denn diskutiert. Ein Urteil, das durch Erfahrung und Begegnung nicht mehr zu korrigieren ist. Es ist ein durch bloße Gerüchte gefälltes Kollektivurteil, kurz: Sippenhaftung.

Von dem diesjährigen Fußballkneipenturnier erfuhren die vorigen Veranstalter nur durch Zufall, obwohl die neuen Organisatoren in einer Kneipe nur wenige Meter entfernt vom Laidak sitzen. Dort will man zwar das Turnier, nur dessen Erfinder nicht mehr. Auf dem Plakat steht, eindeutig als Nachfolger der vorigen Turniere erkennbar, schlicht: „4. Neuköllner Kneipenfußballturnier“. Darunter der Hinweis, dass sich „jede Kneipe, die gern teilnehmen möchte“, per Mail melden kann.

Die Einladung kommt sehr offen daher. Nur warum hängt das Plakat nicht auch im Laidak? Warum keinerlei Kontaktaufnahme? Wird die Offenheit die Probe aufs Exempel aushalten? In der Antwort schreibt einer der Organisatoren, dass er sich noch gerne an das Spiel gegen das Laidak im Sommer 2022 erinnert, nur leider sei man dieses Jahr schon voll. Eine Obergrenze? Das kannte man bisher nur von Horst Seehofer & Co., bei dem Turnier hat es so etwas noch nie zuvor gegeben.

Flyer des diesjährigen Neuköllner Kneipenturniers.

Flyer des diesjährigen Neuköllner Kneipenturniers.privat

Was es jedoch immer schon gegeben hat, waren Teams, die kurzfristig absagten. Auch Neuköllner Kneipennächte können lang werden. In den Vorjahren wurde geschaut, wer am Tag selbst auftaucht, dann wurde der Turnierplan erstellt, was in Zeiten von ChatGPT in Sekunden getan ist. Auch dieses Jahr sagt eine Mannschaft ab. Das Team aus Laidak-Gästen ist auf gut Glück am Sonntagmorgen als eines der ersten im Seelenbinder-Sportpark und spricht mit den Organisatoren. Die wiegeln noch ab.

Die Mehrheit hat entschieden, die Schmuddelkinder müssen gehen

Als Nächstes hört man, ein Ersatzteam sei schon gefunden. Das ist zwar weder aus Neukölln noch eine Kneipe, aber Hauptsache nicht Laidak. Wieder wird das Gespräch mit den Organisatoren und den anderen Teams gesucht, ob man nicht einfach mitspielen könne. Eine Mannschaft mehr oder weniger mache doch keinen großen Unterschied. Doch die Organisatoren beharren, typisch deutsch, auf ihrem Plan. Dass das Laidak der amtierende Vizemeister des Turniers ist, spielt keine Rolle.

Die anderen Teams, darunter das Syndikat, verstecken sich nicht hinter dem Verweis auf den Plan. Niemand wolle mit dem Laidak spielen, heißt es. Bis dahin war von Corona keine Rede, nun wird es dem Team um die Ohren gehauen, das zum Fußballspielen und nicht für politische Diskussionen gekommen ist. Überhaupt sei es provokativ, aggressiv, übergriffig, ja sogar Terror, dass das Laidak-Team hier aufgetaucht sei. So vermiese man den anderen Mannschaften ihren schönen Tag.

Es geht hin- und her, es wird ein bisschen lauter, doch letztlich trotten die fußballbegeisterten Gäste des Laidaks geschlagen ab. Zuvor haben die anderen Teams, als Zeichen ihrer demokratischen Gesinnung, in einer Ad-hoc-Abstimmung den Ausschluss bekräftigt. Die Mehrheit hat entschieden, die Schmuddelkinder müssen gehen. So kam es doch noch zu dem Eklat, den die Veranstalter im Voraus vermeiden wollten: Die Erfinder des Turniers wurden vor aller Augen vom Platz gejagt.

Das Syndikat hat sich durchgesetzt. Das steht symbolisch für eine Linke, die sich mit ihrem eigenen ausschließenden Verhalten in der Corona-Krise nie auseinandergesetzt hat, aber noch heute bestimmen will, wer der digitalen Gerüchteküche zufolge mitspielen darf und wer nicht. Berlin, united by Football? Im Gegenteil: Das Kneipenfußballturnier ist an oder mit Corona zugrunde gegangen. Nur wollen die Organisatoren und tonangebenden Teams, dass man das nicht sieht.

„Schämt euch!“, ruft einer der Laidak-Gäste im Abgang noch in die Richtung der feixenden Mehrheit. Es klingt nach einem frommen Wunsch, genauso wie der nach einer Aufarbeitung der Corona-Zeit in der Linken. Wer, wie das Laidak, daran erinnert, dass da doch etwas war, muss entfernt werden, weil es stört. Selbst beim Fußballspielen. Das Beispiel des gekaperten Neuköllner Fußballturniers zeigt, wie tief die Corona-Krise unter der Oberfläche bis in die Gegenwart reicht.

Christian Kleinschmidt wollte für das Team Laidak beim diesjährigen Neuköllner Kneipenturnier antreten.

Transparenzhinweis: Der Autor verwendet ein Pseudonym, der wahre Name ist der Redaktion der Berliner Zeitung bekannt.


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