Weiter Reisen

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Direkt in die Hölle ginge es dann, nachdem er bis ins Alter von 85 Jahren arbeiten würde. Der Mann, der mir im Rewe in Eiterfeld begegnet, ist 61 und trägt eine Last auf seinen Schultern. Ich brauchte dringend einen heissen Kaffee und musste mein Smartphone laden fürs Navi. Tatsächlich benutze ich zum ersten mal die Powerbank, die ich für Nepal in Thaiand gekauft hatte, die aber bisher nie zum Einsatz kam, weil ich in Nepal stets per Netzteil aufladen konnte, wenn nötig. Hier in Deutschland ist das anders, hier beim Bäcker im Rewe sehe ich keine Steckdosen. Aber immerhin, ich bekomme Kaffee und Puddingteilchen und kann mich etwas aufwärmen, um ehrlich zu sein es ist scheißkalt, trotz Lederhose, Stiefeln und Zwiebeltechnik – ich friere mir den Arsch ab und das ist wirklich noch untertrieben. Als wäre das nicht genug, fängt es in diesem Moment an zu regnen.

Zur Erklärung: ich in seit neuestem stolzer Besitzer einer Royal Enfield, Modell Meteor 350. Noch in Thailand hatte ich den Deal eingefädelt, mein Dank geht an dieser Stelle an den überaus netten Verkäufer Christian aus Aschaffenburg, der mir nach eine Anzahlung die Papiere für die Anmeldung zukommen lies und insgesamt einfach eine total entspannte Art hat. Dass er mir nun heute, beim Abschluss des Kaufs, zum ersten mal mitteilt, dass die Motorkontroll-Leuchte ständig leichtet, schockt mich nicht. Ich vertraue dem jungen Mann, dass mit der Maschine (Baujahr 2021) technisch alles in Ordnung ist und er gibt mir die Hand drauf – das muss reichen. Ich werde den Fehler – so wie er es mir rät – demnächst mit einem Prüfgerät auslesen und löschen lassen.

Das hätte man verschieben müssen! Sagt der Mann, der eine leichte Form von Stottern zu haben scheint. Er meint die Überführung des Motorrades aufgrund des schlechten Wetters und erzählt mir dann ganz ergriffen von seinem „Lehrer“, der immer anhand der Wolken genau vorhersagen konnte, ob es bald regnen würde oder nicht. Das Gespräch, das sich zwischen uns entwickelt, ist – wie der Sturm draussen – wild. Ich erinnere mich nicht mehr genau an jedes Wort, aber irgendwie versuche ich anzudeuten, dass man manchmal auch einfach machen muss. Dass Fehler auch sein dürfen. Dass es Ungewissheiten gibt und, dass die Frage nach dem, was wir kontrollieren können und wollen, immer auch eine Frage danach ist, ob wir Gottvertrauen haben – oder eben nicht. Am Ende unseres Gepräches finden wir einen wunderbaren versöhnlichen Abschluss – das war anders, sagt dieser Mann, dem ich von Herzen alles Liebe für seine Zukunft wünsche, und er macht dazu eine Handbewegung, die das Gesagte unterstreichen soll. Irgendwie bin ich ganz froh, dass ich das ganze nicht verschoben habe und heute diesem Mann begegnen durfte, es fühlt sich stimmig an.

Es ist nicht meine erste Motorradüberführung, aber es ist ähnlich anstrengend und herausfordernd wie die letzte, erinnere ich mich. Das Autobahn fahren ist einfach heftig bei der Kälte, der Winddruck, die Windgeräusche im Helm, die Raser, Deine Körperteile werden langsam aber beharrlich zu Eisklötzen. Immerhin, bisher konnte ich dem Regen entgehen. Und plötzlich endet die Autobahn, in Hessen bei Fulda schickt mich das Navi irgendwie über ein paar echt schöne Landstrassen und zum ersten mal kommt Freude auf beim Fahren, Ich habe die leere Strasse für mich und kann meine neue Dame ein bisschen die Hügel hoch und runter treten, das macht Spass, sie blubbert ordentlich und ich merke wie sich mein Mindset – wieder einmal – vom Dunkel ins Licht hebt. Ich mache nochmal Pause beim McDoof und stelle wieder einmal fest, wie ähnlich Dland inzwischen Amiland ist. Du fährst durch eine verlassene Ödnis, um dann, wenn Du bei McDoof reingehst, festzustellen: ach hier sind ja alle! Burger und Kaffe werden verputzt und das Handy wieder geladen. Weiter gehts.

Ich wünsche mir Sonne und werde erhört. Und dann, ja wirklich, dann platzt der Knoten vollends. Ich habe mich dazu entschieden, heute nur bis Leipzig zu fahren und ich fahre dazu einfach etwas langsamer als ich könnte, also 80km/h, das senkt den Winddruck und die Sonne kommt besser an meinen Körper. Ich fahre die letzten 50 Kilometer ganz entspannt und plötzlich ist es fast, wie in Nepal: unter mir das Surren des Einzylinders rechts die Landschaft, oben der Himmel Ich richte meinen Oberkörper auf und bin ganz bei mir zu Hause..

Die heisseste Dusche meines Lebens

In Leipzig Connewitz checke ich im Homeplanet Hostel ein. Die Empfangsdame überspielt ihre Unsicherheit mäßig gekonnt. Für ein Zimmer im 5-Bett Dorm zahlt man schlanke 33 Eur, ich habe Glück und bin allein da. Meine Zähne klappern, auch wenn der letzte Teilabschnitt mental entspannt zu fahren war. Ab in die Dusche und – man ist die heiss! Ich dusche lange. Sehr lange. Am Ende juckt mein ganzer Körper und ist Puterrot. Ich beziehe mein Bett und lege mich erstmal ab. Geschafft.

Irgendwie bibbere ich nach einer Dreiviertelstunde immer noch. Und gehe erneut heiss duschen. Ich bin so dankbar für diese Dusche, ich glaube ich werde sie noch lange im Gedächtnis behalten. Erst der wohlige Gedanke an einen Rum lässt mich meine Dusche beenden. Wie auf meiner Asienreise schau ich, was auf Googlemaps am besten bewertet ist und werde bei einem gute bürgerlichen Gasthaus fündig, das Foto von Rinderroulade samt Klösen und Rotkohl sieht richtig lecker aus und ich mache mich nach dem Zähneputzen auf den Weg dorthin.

German Angst oder: Gute deutsche Hausmannskost

Der Barmann begrüßt mich mit einem unfreundlichen „alle Tische sind belegt!“ Ich frage, ob ich an der Bar warten kann, was bejaht wird. Ich nehme auf einem Barhocker Platz und warte darauf, dass mich der Barmensch anschaut, um ein Getränk zu bestellen, aber das passiert nicht. Ich werde -tatsächlich – ignoriert. Ich versuche daraufhin Blickkontakt herzustellen. Als es mir irgendwann gelingt, steht er gerade frontal vor mir. Zwischen uns eine silberne iberital. Er bedient gerade deren Milchschäumer und dieser ist ziemlich laut. Was nun passiert ist eine Art Minenspiel, er teilt mir mit seinem Gesicht mit: geht gerade nicht, kann nix hören! Als das aufschäum-Geräusch irgendwann endet, sagt er, so, konnte dich nicht hören, aber jetzt. Ich sage ich hab noch gar nix gesagt, da geht er erstmal woanders hin. Hui, das kann heiter werden, denke ich, und bleibe freundlich. Bei der nächsten Gelegenheit frage ich ihn, ob ich ein Getränk bestellen kann. Das klappt und ich bestelle einen Ingwer Tee mit Schuss, weil da vorn frischer Ingwer aufm Hackbrett liegt. Mit was? fragt er. Mit nem Schuss Rum? sage ich freundlich und leicht fragend. Das gefällt ihm offenbar. Wenn Du in Deutschland Alkohol bestellst, gehörst Du dazu, so ist das nunmal.
Irgendwie geht mir ein bisschen ein Licht auf an diesem Abend. Diese beschissene Ängstlichkeit der Deutschen kann man fast lieb haben, wenn man weiß, wie man mit ihr umzugehen hat. Vielleicht habe ich zum ersten mal verstanden, was man mit „german Angst“ meint? Dieser Mensch da ist in seiner Art etwas hilflos. Er kann nicht souveräner sein in seiner Position als Barkeeper. Er ist sich aber selber treu, denn seine Art ist ehrlich, er verstellt sich nicht. Er ist lieber unfreundlich oder unaufmerksam, als so zu tun, als sei er es nicht. Zudem muss er jeden Abend mit unzähligen anstrengenden, teils unsagbar-viel-scheisse-labernden Leuten copen, seine etwas unfeine Art dürfte also auch eine Art Schutzmechanismus darstellen, einen Weg, die Dinge nicht zu nah an sich heran zu lassen, einen Abstand behaupten zu können.

Irgendwie mag ich ihn plötzlich sogar, mit seiner Glatze und seinem Bart sind wir doch Brüder im Geiste, haha. Ich finde die Rinderroulade so unfassbar lecker, dass ich ein wenig schlinge. Gerade als ich mir eine besonders fette Portion in den Schlund gönne, höre ich ein- Alles gut bei Dir? Wow, ich muss erstmal kurz kauen und runterschlucken. Mmh, runter-Schluck, hervorragend! sage ich und fühle mich durch diese, seine Aufmerksamkeit durchaus zum Ritter geschlagen, denn das gibt er nicht jeden Gast, soviel ist mal sicher. Ich habe einen sehr versöhnlichen Moment mit mir in diesem D-Land. Natürlich ist hier nicht alles schlecht. Und natürlich ist hier tatsächlich einiges im Argen. Aber heute ist mir etwas besonderes gelungen. Ich habe meine Reise ausgedehnt nach hier. Ich reise gewissermaßen immer noch weiter. Und das Motorrad fahren hilft mir auf magische Weise dabei. Ich bin wach und lebendig und, ja, tatsächlich: ich bin gerade sehr glücklich. Denn später fragt mich dieser doch gar nicht so unaufmerksame Mensch, ob ich mir noch etwas wüsche. Nein, sage ich, ich bin zufrieden. und gehe wohl gewärmt und genährt hinaus in die Leipziger Nacht.


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