„Wir brauchen Veränderung!“

Sharing is caring:

Wohin geht die menschliche Evolution? David Cronenbergs Regiewerk „Crimes of the future“ widmet sich der großen Frage unserer Zeit und malt eine – wie für Cronenberg üblich – düstere Szenerie, in der er schonungslos die krankende Gesellschaft seziert, die zunehmend den Bezug zu ihrem Körper verliert und verzweifelt versucht mit immer „radikaleren“ , aber letztlich Sinn-leeren Performances Bedeutung zu fabrizieren.

Wer die Meta-Ebene in dem Kammerspiel-artigen Film nicht konsequent mitliest, dürfte seine Schwierigkeiten haben, dem blutigen Streifen etwas abzugewinnen. Cronenberg spricht in Bildern, gleich zu Beginn sehen wir einen auf der Seite liegenden Schiffskreuzer, der im Meer vor sich hin rostet. Davor im Bild: ein kleiner Junge, der mit einem Löffel in den Sand hackt. Zu unserer Verwunderung „soll er nichts essen, was er aus dem Wasser holt“ – so ruft seine Mutter ihm vom Balkon aus zu. Kurz darauf wird diese Mutter ihr Kind mit einem Kissen ersticken, nachdem dieses nach dem Zähneputzen noch einen Plastikmülleimer verspeist – eine verstörende Szene, Cronenberg kann sowas.

Wir erfahren im Verlauf des Films, dass der Junge der Vorbote einer neuen Zeit war – er war der erste Mensch, der mit Organen geboren wurde, durch die der Mensch Plastikmüll verdauen kann. Das verheissungsvolle Kind wird von der eigenen Mutter umgebracht – die mögliche Rettung der Menschheit wird von dieser als „Monster“ gesehen – sie hat keine Liebe für das Neue, das sie aus sich heraus geschaffen hat. Der Kindsmord bleibt dann auch konsequenterweise ungesühnt, da sich der Staatsapparat des Kindes ohnehin entledigen wollte. Menschen mit neuartigen evolutionären Besonderheiten sollen nämlich aussortiert werden – außerplanmäßige, evolutionäre Veränderungen sind offiziell unerwünscht und eine Regulierungsbehörde sorgt dafür, dass „andersartige“ aus dem Verkehr gezogen werden.

Der Breakfaster – Symbol einer durch und durch kranken Gesellschaft, die nicht mehr ohne Apparatur essen kann. Aber diejenigen, die diese Apparatur herstellen und warten, bewerben diese Maschine als „Gesundheits-fördernd“..

Cronenberg gelingt es wie keinem anderen, die aktuellen krankhaften Tendenzen einer zunehmend orientierungslosen Gesellschaft mit wenig Aufwand und Holzschnitt-artig abzubilden. Die Performance eines Tänzers, der – dem neuesten Fetisch der „radikalen Kunstszene“ entsprechend, welche Körper zerschneidet und Organe live tätowiert – seinen Körper über und über mit Ohren bedeckt und im Film als traurige Metapher für eine sinnlose Performance Kultur steht, ist genauso eine Schlüsselszene wie die eines „Kusses“, der kaum mehr einer ist, da die Menschen in dieser Welt das Küssen verlernt haben. Sex gibt es entweder gar nicht mehr oder aber nur noch in Verbindung mit dem „Kick“ des Ritzens, also dem gleichzeitigen Verletzen des Partners mit einem Messer – auch hier beobachtet Cronenberg gnadenlos die pathologischen Tendenzen einer entarteten Gesellschaft, bei der Sex zunehmend mit Praktiken wie Würgen, Schlagen etc. praktiziert wird, da viele Zeitgenossen offenbar sonst nichts mehr spüren.

Nahezu sämtliche Szenen wurden in einem verlassen anmutenden griechischen Dorf gedreht – Cronenberg braucht nicht viel, außer seinen Schauspielern, um seine Geschichte zu erzählen. Man darf wohl davon ausgehen, dass der Ort des Geschehens nicht zufällig gewählt wurde – die Trostlosigkeit des Sets und die gleichzeitige Einordnung der jüngsten Vergangenheit Griechenlands, als „failed state“ der EU – ausgeblutet und im Stich gelassen von einer autokratischen Vermögensverwaltungs-Politik, spricht Bände.

Tenser – der Protagonist des ganzen, gespielt von Viggo Mortensen – ist übrigens ein V-Mann der Staatsgewalt, der eher orientierungslos mäandert zwischen der bröckelnden Vorstellung für „die richtige Seite“ zu arbeiten, der zunehmenden Selbstidentifikation seiner Rolle als Organ-Künstler und dem eigenen Narzissmus, der möglicherweise seinen Hauptantrieb darstellt.

Seine Partnerin spricht dann in der großen letzten Performance aus, was wohl als die Botschaft Cronenbergs verstanden werden darf: „Wir brauchen Veränderung! Wir leben in einer Welt, in der wir unsere Kinder von innen heraus abtöten (sinngemäß)“ – durchaus ein Weckruf, den der Großmeister des Films und Visionär hier mit seinem Werk absendet.

Am Ende lässt Cronenberg die Ursprungsfrage – wie alle großartigen Geschichtenerzähler – offen. Ob Tenser den Plastik-Riegel Kraft seines Willens verdauen kann und somit zum neuen Menschen werden wird – oder ob er daran zu Grunde gehen wird, muss der Zuschauer selbst entscheiden.


Sharing is caring:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert