Alle Masken fliegen hoch!

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Okay, weiter gehts.
Meine Depressionen waren zuletzt so stark, dass ich etwas tun musste. Einsamkeit und Vereinzelung drängten sich mir derartig, fast schon aufdringlich auf; das Osterwochenende und auch das nachfolgende Wochenende, welches ich mit meinem Sohn verbrachte, waren für mich, gelinde gesagt, schwierig. In der Großstadt fickts Dich ordentlich durch, wenn Du keinen „Anschluss“ mehr empfindest, während draussen die Sektkorken knallen.

Was tun? Ich erklärte mein Dilemma einem guten Freund in Marrakesh per Textnachricht – er rief mich umgehend an, so sind sie, die Marokkaner (und wer sowas schreibt, natürlich offen rassistisch).

Drei Tage später sitze ich in der Maschine, den Sabberlatz auf Halbmast im KLM Cityhopper und werde bislang nicht dafür zurecht gewiesen, dass ich Atemluft in angemessener Weise einatme, wie Menschen es taten, seit Gott sie schuf – bis Corona kam.

Ich atme auf. Äußer- wie innerlich.

Es war an der Zeit, mal wieder die Wolken von oben zu sehen. Den gordischen Knoten der düsteren Corona Zeit zu zerschlagen, wieder etwas Leben zuzulassen. Das Fliegen erhebt den Menschen, brauchst Du mir nichts anderes zu erzählen. Und da Marokko wieder offen ist und laut Ouahid die Medina wieder voller Leben, hab ich gebucht. Völlig emotionslos. Denn eine weitere beschissene Woche weiter so in Berlin kam einfach nicht in Frage. Die Decke war sozusagen schon auf meinen Schultern angekommen, so sehr fiel sie mir auf den Kopf.

Es geht gut los, denn aus einer gewissen ihr könnt mich alle mal Haltung heraus sitze ich ohne Ticket im FEX, der mich vom Ostkreuz zum sagenhaften BER bringen soll. Ich blicke aus dem Fenster der Sonne entgegen und ein leichter Anflug von Reisefieber überkommt mich, als die hässlichen Berliner Gebäude lautlos an mir vorbei flackern und mich die zarten Worte „Fahrkarten bitte“ in die Realität zurückholen. Ich bin eh gerade im fuffies in den club Modus und denke mir scheiss drauf, als der Herr, der mich eben noch daran erinnert, dass Züge nunmal nicht fliegen und damit auf meinen zugegebenermaßen erbärmlichen Versuch reagiert, ihn durch Vorzeigen meines Flugreiseplans zu überzeugen, statt der erwarteten 80 Eur Beförderungsentgelt nur 3,80 in Rechnung stellt. Ich komme mir kurz vor, wie in der guten alten Zeit oder irgend so nem Schmarrn, jedenfalls registriere ich den ausbleibenden Aufprall als gutes Omen in die kommende Woche.

Zum ersten mal im BER, der ungefähr so eindrucksvoll ist wie eine große Kiste, finde ich meinen Schalter und zeige meine Unterlagen vor, die mir – als Ungeimpften – ermöglichen sollen, ein ganz normales Leben zu führen. Alles klappt, ich bin zufrieden.

Ich hasse ja diese Menschen-Entwürdigungs-Systeme, die seit 17 Jahren an allen Flughäfen fest installiert wurden – zu unser aller Sicherheit – versteht sich. Meine Abscheu gegen das systematische Durchleuchten von Menschen, das institutionalisierte Misstrauen – ermöglicht durch prekäre Lebensverhältnisse und entsprechende Not bei den „Angestellten“, den Underdogs oder auch security slaves, wie ich sie liebevoll nenne – den vielleicht tragischsten Figuren dieses ganzen Schauspiels namens Turbokapitalismus mit seinen Zysten und Auswüchsen der „Sicherheitsindustrie“, das wir Menschen in diesen Zeiten so betreiben, offenbar ohne dessen überdrüssig zu werden – ist grenzenlos.
Aber ich möchte im Ton nicht allzu dramatisch oder gar melancholisch werden, gewisse Dinge sind zwar nicht gerade erbaulich, aber was hilft das Gezeter. Ein bisschen Humor bitte, Gott hat den schliesslich auch – und das nicht zu knapp, denke ich und schmunzle über einen maskierten Brillenträger, dessen Brillengläser – mal wieder – beschlagen sind.

Also, Arschdurchleuchten aka Sicherheitskontrolle. Ich ignoriere das wichtigtuerische Gerede des Gestapo Blonden weitestgehend, der dort einer verunsicherten Dame beim Rollband unwichtige aber wichtigtuerisch Vorschriften erklärt und dabei so tut, als flögen wir alle gleich in die Luft, wenn einer nochmal das Wort Zahnpasta in den Mund nimmt. Seine Brust schiebt er etwas vor, um sich Respekt zu verschaffen, den er nie bekommen wird. Da ich keine Lust habe, meine Zahnpasta aus der Tasche zu rupfen und in seinen überflüssigen Plastikbeutel zu stecken, zucke ich nichtssagend mit den Schultern, als er mich ausfragt, ob ich auch alles nach Vorschrift aus- bzw eingepackt und den Laptop usw. in die Kisten verstaut hätte. Da bereits die nächsten „Kunden“ hinter mir in der Schlange eine gewisse, zuvorkommende, Unterwürfigkeit praktizieren, lässt der Wachhund bald von mir ab und ein paar Sekunden später befinde ich mich in einem Nacktscanner oder so etwas in der Art, inzwischen sind diese Geräte ja die Norm, ja nicht auszudenken, was da los wäre, wenn Menschen einfach so in Flugzeuge einsteigen würden, ohne sich auf diese Weise vorher erniedrigen zu lassen, also so, wie das die ca. 60 Jahre zuvor der Fall war, wir erinnern uns, Flufhäfen explodierten zu jener Zeit beinahe täglich wegen Zahnpasta. Also im Ernst: was da heutzutage wohl passieren würde, nicht auszudenken! Vermutlich rein gar nichts, ausser, dass noch mehr Menschen fliegen würden, weil es wieder mehr Spass machen würde möglicherweise und die Arbeitslosenzahlen wieder etwas ehrlicher daran erinnern würden, wie schlecht diese Politik ist, weil dann in Deutschland etwa eine Million „Sicherheits-ABMs“ wegfallen würden..

Der nächste Wachhund in der Reihe ist von der Sorte Clown und fragt mich so ganz nebenbei, was ich so beruflich mache, da er ein Mikrofon in meiner Tasche gesichtet hat. Mein Arbeitslaptop wird dann nochmal isoliert durch die Maschine geschleust, das wars, noch zwei schlechte Witze des Clowns weglächeln und hey, ich bin durch und durfte sogar meine Schuhe anbehalten.

Dienst nach Vorschrift

So wirds gemacht, das ist so Vorschrift, ich kann da nichts machen, das entzieht sich meinem Zugriffsbereich, ich bin dazu nicht autorisiert, da müssen sie sich an die Beschwerdestelle wenden, ich verdiene hier 10,66 brutto lassen sie mich bitte einfach in Ruhe, ich bin selbst ein Opfer, ich habe aufgehört zu träumen, ich weiss selbst am besten, dass alles den Bach runter geht, aber was soll ich denn machen, ich bin nur ein modernerer Sklave – was erwarten Sie von mir?

Um ehrlich zu sein, nicht viel. Und es wäre wohl auch vermessen, einen Sklavenaufstand zu fordern, ja sein Wegbleiben denen anzukreiden, die an der kürzesten Kette gehalten werden. Die Revolution bleibt aus oder sie kommt wenn, dann aus anderen Gefilden her, wie auch immer – Flughäfen sind vielleicht das anschaulichste Beispiel für die brutale Fehlentwicklung unserer Zivilisation. Die Ameisen machen, dass der Laden läuft, während BOSS, CHANEL, PRADA und die anderen Verdächtigen ihre überteuerten Illusionen and die Massen bringen, die täglich rein und raus strömen. Der Arbeiter hält den Laden zusammen, seine billige Arbeitskraft ist der Kit der Maschine, die ihn aussaugt und die Besitzenden in ungeahnte Dimensionen emporhebt. Unten kriechts, oben schwebt man, der Glanz des Dutyfree Shops wirft seine gold-glänzenden Lichter und seine teuren Düfte zu betäubender Musik, während die Kriecher verstohlen auf die Preise starren oder sich längst damit abgefunden haben, dass diese Dinge nicht für sie sind.

Transfer in Amsterdam, ich schmeisse Tinder an und habe prompt einen leckeren Fisch an der Angel. Dutch girls are hot. Meine Transferzeit ist diesmal wohl zu kurz, aber sie hat einen Van, schreibt sie, und könnte damit zum Flughafen fahren.. Vielleicht schaffen wirs auf dem Rückweg, da wäre mehr Zeit. Mal schauen..

Auf dem Flughafen A-dam Shipol ist zwar offiziell Maskenpflicht, aber Holländer sind ja bekanntlich entspannte Menschen und ich verzichte jetzt ganz auf den Lappen. Ich bin nicht der einzige, wie ich erfreut feststelle.

In einem „Sicherheits-Random Check“, den ich auf meinem Weg durch den Transfer sozusagen im Lotto gewinne, filzt mich nochmal eine Bande Kleinkrimineller mit ihren Durchleuchtgeräten und ich befürchte schon das Schlimmste, aber dann kommt die Pointe: die Nagelschere, die sie in meinem Rucksack erbeuten, wollen sie nichtmal geschenkt haben. Ich staune, als der junge Kerl das spitze und scharfe Werkzeug wieder in meinem Rucksack verstaut, denn das macht alles, aber keinen Sinn.

Sinnlos ist dann auch das Gebaren der Hexe beim Boarding nach Marrakesh. Das Boarding dauert ewig, weil sie die Covid Unterlagen aller Passagiere extra genau überprüft und es sogar mit den Uhrzeiten der PCR Tests ganz genau nimmt. Auch hier habe ich Glück, sie hat sich an meinem Vordermann derart abgemüht (eine Kollegin musste sogar irgendwann zur Hilfe eilen, um letztlich zu bestätigen, dass die Unterlagen des jungen Mannes in Ordnung seien), so dass sie bei mir nicht mehr ganz so hart den Nazi gibt. Ich mache ganz in Ruhe, meine Bewegungen sind langsam und bestimmt. Ein- und Ausatmen und dann – Puh – dann, ja dann bin ich durch und nichts wird mich mehr aufhalten.

Im Flieger dann die Leugner Party. Tatsächlich gibts in dieser Maschine keine Maskenpflicht. Ein inneres „Hurra!“ und ein ebenso lautes „reiner Schwachsinn“ bahnen sich ihren Weg in meine Wahrnehmung, Hurra, wir sind der Omnibus der Verwirrten, wir sind alle schwachsinnig, schaut her, uns gehts trotzdem gut, selbst die Stewardessen tragen Masken und dann wieder nicht, mal so mal so, der Infektionsschutz wird vermutlich durch den Grad an Schwachsinnigkeit erhöht, so könnte man das zumindest schlüssig argumentieren.
Mein Sitznachbar heisst Billie, ist US Amerikaner aus Kansas, 46 Jahre alt und nimmt seine schwarze FFP2 Maske bald ab, nachdem wir uns darüber einig sind, dass die Gesellschaft mit zunehmendem Tempo in den Wahnsinn steuert. Obwohl wir, was Corona angeht, offenbar nicht unbedingt auf dieselben Informationen Zugriff haben, ist das Gespräch offen und freundlich, auch er sieht zum Beispiel Vorteil und Hoffnung in der Funktionalität gewisser dezentraler Crypto währungen. Wir finden Zuckerberg irgendwie richtig scheisse und Musk irgendwie cool – diesen Autisten – der nun offenbar das ehrgeizige Ziel hat, Twitter demokratischer zu machen.

Ich verliebe mich noch kurz in das Lächeln meiner Stewardess – ja, auch das geht ja jetzt wieder – und bin einen feuchten Powernap später an meinem Ziel.

Fortsetzung folgt?


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