Die Krise der Berührung

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Bericht aus dem ältesten Gewerbe der Welt

Aya Velázquez

(Erst-VÖ bei Demokratischer Widerstand)

31. August 2020. Es sind einsame Zeiten. Wenn ich meinen aktuellen Terminkalender mit dem in Vor-Corona-Zeiten vergleichem sieht es etwas traurig aus. Viele meiner Kunden sind noch immer eingeschüchtert und haben Angst, etwas Falsches zu tun, wenn sie mich treffen. 

Corona hat meine Branche auf besondere Weise getroffen, denn meine Arbeit ist Berührung. Ich bin Sexarbeiterin. Als unabhängiges Escort aus Berlin bin ich vergleichsweise gut durch die Krise gekommen — für meine Branche sieht das anders aus. In vielen Bundesländern ist Prostitution noch immer komplett verboten, zahlreiche Betriebsstätten sind von akuter Insolvenz bedroht, viele Kollegen mussten Hartz-4 beantragen. In Deutschland gehen schätzungsweise 100.000 bis 200.000 Menschen der Sexarbeit nach, darunter hauptsächlich Frauen, aber auch Transmenschen und Männer.

AUSGRENZUNG VON RANDGRUPPEN: INDIKATOR FÜR PRÄFASCHISTISCHE ZUSTÄNDE

Tausende Kollegen haben während der Corona-Krise trotz Berufsverbots keinerlei staatliche Unterstützung erhalten und von Rücklagen gelebt. Manche mussten aus purer Not illegal weiterarbeiten. Es ist kein Geheimnis mehr, dass im Rotlichtgewerbe in Deutschland wieder gearbeitet wird, ob mit oder ohne Infektionsschutz. Wo weiterhin das Berufsverbot herrscht, wird auf die Maskenpflicht verwiesen und süffisant hinzubemerkt, es sei nun einmal schwer vorstellbar, dass bei erotischen Handlungen eine Maske getragen oder die erforderlichen Abstands- und Hygieneregeln eingehalten würden. Dort, wo Sexarbeit wieder erlaubt ist, müssen strenge Hygienekonzepte vorgelegt werden; eine Maskenpflicht beim Sex ist obligatorisch, Email– und Telefondaten unserer Kunden müssen aufgezeichnet werden.

Während Fußball, Kontaktsport oder Gottesdienste wieder zugelassen sind, ist die bezahlte erotische Begegnung zwischen zwei Menschen entweder komplett verboten oder fest in der Hand staatlich verordneter Biopolitik. Der Grund für das in weiten Teilen Deutschlands andauernde Berufsverbot für Sexarbeitende ist in meinen Augen politischer Natur. Die Agenda, in Deutschland ein sogenanntes »Sexkaufverbot« nach schwedischem Vorbild einzuführen, war bereits vor Corona das Steckenpferd einiger lautstark dafür werbender, reaktionärer Politiker, darunter die SPD-Abgeordnete Leni Breymaier und unser allseits geschätzter Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Beide haben bereits vor der Corona-Krise quer durch alle Medien verlauten lassen Prostitution sei eine Verletzung der Menschenwürde und gehöre abgeschaft. Das von ihnen propargierte, pseudofeministische »Schwedische« oder »Nordische Modell« beruht auf der Unterstellung, dass kein Mensch freiwillig Sex verkaufen würde, wenn ihm andere Optionen offenstünden. Es versteht sich als ein Versuch der staatlichen Umerziehung, welcher gezielt keine Sexarbeitenden bestraft, sondern deren Kunden – auch wenn die Dienstleistung konsensuell vereinbart wurde.

In Schweden geht die Kriminalisierung so weit, dass Lebenspartner, erwachsene Kinder, Hosting-Betreiber, Vermieter, kurz, alle Personen aus dem näheren Umfeld einer Prostituierten, die Geld von ihr erhalten, rechtlich belangt werden können, weil sie von den Einkünften einer Prostituierten profitieren. Die Menschenrechtssituation für Sexarbeitende gilt in Schweden als katastrophal. Menschenhandel, der eigentliche Vorwand für die Repressalien, existiert jedoch weiter. 

In Deutschland haben wir aktuell eine Art »Schwedisches Modell Light«. Der Kauf von Sexdienstleistungen steht in vielen Bundesländern gemäß der geltenden Corona-Verordnungen unter Strafe. Dadurch wurde ein großer Teil der Bevölkerung kriminalisiert. Wo Prostitution erlaubt ist, ist sie an drakonische Auflagen gebunden. Uns Sexarbeitenden wurden damit zwei elementare Grundrechte entzogen: Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, abgeleitet aus Artikel 1 Grundgesetz, und freie Berufswahl, Artikel 12.

Während der Corona-Krise bezeichneten uns 16 Abgeordnete, darunter, tja, Karl Lauterbach, als »epidemiologische Superspreader« und forderten eine feste Verankerung des Sexkaufverbots auch über Corona hinaus. Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Vereinzelung und Entfremdung ohnehin schon dramatische Ausmaße angenommen hat, Prostitution zu verbieten, ist an Verachtung für unsere menschliche Natur kaum zu überbieten. Genau jetzt könnten viele Mitmenschen eine Umarmung, etwas Intimität und Nähe gut gebrauchen.

Es fördert die Aggression und Gewaltbereitschaft einer Gesellschaft, wenn ihre Grundbedürfnisse nicht mehr erfüllt werden können. Wir Sexarbeitenden sind emotionale Stützpfeiler der Gesellschaft, gleichzeitig eine der am stärksten marginalisierten Berufsgruppen. Die Ausgrenzung von Randgruppen ist ein verlässlicher Indikator für präfaschistische Zustände. Corona ist keine Geschlechtskrankheit. Eine Kriminalisierung des ältesten Gewerbes der Welt, wie es aktuell unter dem Vorwand des Corona-Infektionsschutzes geschieht, dürfen wir uns als Gesellschaft nicht gefallen lassen. 


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