„Das Sams ist still“ sagt es, zieht die Maske übers Gesicht und legt sich ins Bett. Eine bezeichnende Szene in der Corona Neu-Inszenierung des Klassikers am Atze Theater Berlin. Warum das Maskentragen auf der Bühne der Revoluzzer Geschichte sämtliche Zähne zieht und mir als Kulturschaffendem am Ende Tränen in die Augen treibt. Eine Betrachtung.
Los geht es mit einer Ansprache des Theaterleiters. Dieser ist sichtlich erfreut über die Anzahl der erschienenen Gäste. Die Veranstalung sei „ausverkauft“, wie momentan wohl sämtliche Kulturangebote Berlins – allerdings standen auch etwa nur ein Drittel der Sitzplätze zum Verkauf – aus Sicherheitsgründen. Erstaunlich finde ich eine Bemerkung, die er macht: er sei darüber ganz verwundert, dass sich so viele Menschen ins Theater „trauen würden“, damit habe er aufgrund der Gefahrenlage nicht gerechnet. Ausserdem bedankt er sich für das Vertrauen, dass die Menschen in das Theater haben und darin sich „hier nicht anzustecken“, er meint damit vermutlich das Hygienekonzept. Ein bisschen grotesk wirkt das schon, aber es ist nur der Auftakt zu einem denkwürdigen Theatererlebnis.
Der rote Faden geht rasch unter Masken verloren
Das Stück beginnt mit einem Musikstück – die Band macht ihre Sache ausgesprochen gut. Und auch die Schauspieler agieren größtenteils gekonnt und auf den Punkt – trotzdem will das ganze nicht so recht in Fahrt kommen. Der graue Herr Taschenbier, einer der beiden Protagonisten. singt und tanzt seine Sorgen – er hat es nicht leicht der Mann, so viel steht fest. Unter seinem Kinn trägt er eine Corona Maske – zunächst halte ich das für einen Regie Einfall, um das ganze visuell im zeitgenössischen Kontext zu platzieren. Seinen vorläufigen Tiefpunkt hat das Stück dann allerdings sehr bald, als Herr Taschenbier auf das Sams trifft. Plötzlich ziehen sich beide Darsteller die Masken hoch ins Gesicht, der darauffolgende Dialog wirkt infolgedessen blass und wie hinter einer Glaswand, man kann die neue Bekanntschaft der beiden Figuren emotional nicht nachempfinden, auch akustisch ist es schwierig zu folgen, da selbst gute Sprecher mit Maske schlecht zu verstehen sind. Das Stück driftet rasch ins Belanglose und wirkt hier und da jetzt auch ein bisschen beklemmend. Diese Beklemmung steigert sich ins Unangenehme, als das Sams in einer weiteren Szene sich die Maske – die von vielen nicht ohne Grund als Knebel interpretiert wird – ins Gesicht zieht mit den Worten „das Sams ist still“ und sich schlafen legt.
Während ich versuche herauszufinden, welches Konzept hinter dem Einsatz der Masken auf der Bühne steckt, dümpelt das Stück trotz professionellem Einsatz der Akteure vor sich hin. Auch die tollen Slapstick Einlagen des Herr Taschenbiers können daran nichts ändern. Beim dritten Einsatz der Masken dämmert es mir: offenbar ist es eine Auflage der Behörde, die hier auf der Bühne Anwendung findet. Denn jedesmal, wenn sich die Schauspieler auf der Bühne etwas näher kommen, wird schnell die Maske vom Kinn über das Gesicht gezogen. Leider verstärkt sich durch diese Erkenntnis der Klos in meinem Hals. Behördentheater in Berlin – Bert Brecht würde sich im Grabe umdrehen!
Stück wird ad absurdum geführt
Die Geschichte des Sams ist ja im Kern eine Geschichte der Befreiung. Paragraphenreiter machen Herr Taschenbier mit Drohungen (wer würde da nicht den Bezug zur aktuellen Behörden Willkür ziehen) das Leben schwer, welcher – bis das Sams in sein Leben tritt – stets den bückling macht. Sein Leben lang hat er nicht gelernt aufzubegehren, für sich einzustehen, den Mund auf zu machen. Sein Chef, Herr Oberstein, drangsaliert ihn, wo er kann und auch seine Vermieterin macht ihm das Leben zur Hölle. Gefangen im Hamsterrad – das Sams ist eine moderne Geschichte über die Schwierigkeit, dem System zu entkommen. Umso schmerzhafter ist es, was hier dargeboten wird: man sieht nach Luft japsende Choristen, die sich schnell mal die Maske runterziehen, wenn es darunter während der Choreographie gar zu anstrengend wird, man sieht Verkäufer, die die Parolen des Kapitalismus hinter Masken skandieren „Bei uns ist der Kunde König“ – das wirkt selbst auf mich als Erwachsenem beängstigend dystopisch, für ein vierjähriges Kind im Publikum ist das durchaus harter Tobak, auch wenn es möglicherweise die Metaebene nur fühlt und nicht mitdenkt
Für die Regie scheint es kein Widerspruch zu sein, ein Stück über die Befreiung von der Last der kapitalistischen Arbeits- und Konsumwelt zu machen und dabei das große Symbol der Unterdrückung unserer Zeit, die Gesichtsmaske, nebenbei und per Dekret einer Behörde im Kulturbetrieb zu etablieren. Chinesische Verhältnisse? Hier liegt dann wohl auch die zentrale Frage: darf man es der Regie oder der Theaterleitung zu Lasten legen, wenn hier Behördenregeln auf der Bühne ausgeführt werden? Ja, man muss das sogar tun, denn wo kommen wir hin, wenn sich die Politik sich derart in die Kunst einmischt, die Kunstfreiheit beschnitten wird? Wenn es nur noch „richtig“ und „falsch“ geben darf und die Behörde bestimmt, welches dabei welches ist? Dem Autor dieser Zeilen ist bewusst, dass die Masken nicht für jeden ein Instrument der Unterdrückung darstellen, da viele BürgerInnen die Masken gern anziehen und möglicherweise sogar der PR aufliegen, damit etwas Gutes für andere zu tun. Gleichwohl muss man daraufhin weisen: das autoritäre Staatsgebaren ist seiner Natur nach undemokratisch. Würde es Theater in diesem Land geben, die ohne Masken spielen dürfen – dieser Text wäre nie geschrieben worden.
Die Hauptdarstellerin befreit sich am Ende
Kurz nach der Pause dann mein persönlicher Höhepunkt des Abends: die Band befreit sich, um Luft ringend, nachdem sie aus der Strassenbahn steigt, übertrieben deutlich von den Keimschleudern, ein schönes kleines Detail. Aber dabei bleibt es nicht: Eine echte Überraschung gelingt der Hauptdarstellerin, als sie, passend zu der Szene, in der Sie den Unterdrücker Direktor Oberstein in die Schranken weist, prompt einfach auf die Maske pfeift. Versehen? Absicht? Oder der Überschwang heroischer Gefühle, der sie kurz die „Sicherheitsregeln“ vergessen lässt? Wie auch immer – die Darstellerin kommt ihrem Kollegen an dieser Stelle ganz nah – ohne Maske. Es ist ein besonderer Augenblick – ein Fest für jeden Freiheits-liebenden Theatermenschen.
Am Ende gibt es braven Applaus für brave Angestellte. Revolution geht – auch wenn es nur Fiktion ist – anders. Es gibt Blumen für das Team und – oh Wunder – plötzlich steht man dicht an dicht, ganz ohne Masken. Von derselben bereits genannten Schauspielerin kommt dann beim Schlussapplaus auch noch erfreulicherweise der Impuls, die Kollegen bei den Händen zu greifen. So, wie es früher – manch einer erinnert sich – mal „normal“ war. Ich habe Tränen in den Augen. Die Frau ist sich treu, das spürt und sieht jeder im Saal, der sich für derlei interessiert. Fragt sich nur, ob man solch „gefährdende Tendenzen“ in diesem Betrieb dulden wird. Sie wäre ja nicht die erste, die in dieser Krise aufgrund politischen Drucks zum Schweigen gebracht, bzw gekündigt wird.
Schreibe den ersten Kommentar