Die Autorin plädiert für eine politökonomische Interpretation der Corona-Krise. In deren Zentrum steht der Aufstieg eines globalen „Biosecurity-Staates“.
Text von Tove Soiland, erschienen unter CC-Lizenz
Ein Pfleger während eines Krankentransports in der Corona-Pandemie in Paris.Blondet Eliot/imago
Die Ungereimtheiten der Corona-Zeit türmen sich zum Himmel und sind – für diejenigen, die sie wahrnehmen wollen – längst gut dokumentiert. Das gilt für die fragliche Wirksamkeit von Maßnahmen ebenso wie für die behauptete Alternativlosigkeit solch drastischer Maßnahmen wie Lockdowns und den daraus resultierenden, von Anbeginn an absehbaren „Kollateralschäden“.
Das gilt aber auch für die politische Einflussnahme auf den angeblich neutralen wissenschaftlichen Diskurs, die unrühmliche Rolle des RKI und die sich daran anschließenden fragwürdigen juristischen Entscheidungen. Und es gilt für die Diskussionen um die Impfung und die Impfpflicht ebenso wie für die nach wie vor ungeklärte Übersterblichkeit seit Beginn der Impfkampagne. Irritierend ist darüber hinaus, mit wie viel aggressiver Abwehr und ignorantem Desinteresse sowohl der Mainstream der Ärzteschaft als auch die Medien reagiert haben und in großen Teilen bis heute reagieren. Am unverständlichsten aber bleibt die komplette Kaltblütigkeit, mit der die Linke bis heute die desaströsen Auswirkungen von Lockdowns auf den globalen Süden ignoriert.
Wer angesichts dieser skandalös langen Liste argumentiert, es handle sich um eine Reihe unglücklicher Zufälle, die Politik sei angesichts einer komplett neuen Situation aus verständlichen Gründen überfordert gewesen, es gebe hier keine Kohärenz, die Welt sei halt komplex und die Kontingenz darin auszuhalten, der muss sich nicht wundern, wenn die extreme Rechte Aufschwung bekommt. Sie interpretiert dann auf ihre, zugegeben etwas krude Weise, wie diese Ungereimtheiten in einen Kontext zu stellen sind, damit sie wieder Sinn ergeben.
Schlimmer noch: Auch wer dezidiert nicht rechts ist, aber auf die Aufklärung der Widersprüche und Ungereimtheiten besteht und damit nahelegt, dass es sich hier um mehr als eine Reihe von sich aus Überforderung ergebenden Missgriffen handelt; wer gar argumentiert, dass die behauptete Alternativlosigkeit ein politischer Entscheid und keineswegs eine wissenschaftliche Notwendigkeit darstellt, der sieht sich kurzerhand als „rechtsextrem“ und „verschwörungsgläubig“ diffamiert.
Der damalige RKI-Präsident Lothar Wieler und der zum damaligen Zeitpunkt amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 2020 bei einer Pressekonferenz.Florain Gärtner/imago
Eine falsch gestellte Alternative
Doch gibt es tatsächlich nur diese falsch gestellte Alternative, mit der man uns gegenwärtig erpresst? Kann man nur entweder an den Zufall glauben oder an eine Verschwörungstheorie?
Wer dieser Erpressung etwas entgegensetzen will, muss diese falsche Alternative zurückweisen und sich um eine eigenständige, dritte Position bemühen. Doch wenn die Corona-Krise weder eine Verschwörung ein paar böser, mächtiger Männer war, noch reiner Zufall – was war sie dann?
Im Folgenden werde ich argumentieren, dass die staatlichen Antworten auf das Auftreten des neuen Corona-Virus in den Kontext eines globalen Biosecurity-Dispositivs zu stellen sind, das militärischer Natur ist. Gemeint ist damit eine dem Militärischen entnommene Vorstellung von Sicherheit, die diese primär unter dem Gesichtspunkt von biologischen Bedrohungen wahrnimmt. Zu einem Dispositiv gehört aber nicht nur eine bestimmte Denkweise und die damit verbundene Problemwahrnehmung, sondern alle praktischen Instrumente, die es braucht, um diese in die Realität umzusetzen.
Ich werde argumentieren, dass dieses Biosecurity-Dispositiv die Tendenz hat, zur neuen Regierungsweise westlich-spätkapitalistischer Gesellschaften zu werden. Diese führt die autoritären Tendenzen des Neoliberalismus zwar fort, bringt sie aber gleichzeitig unter dem Stichwort des „Schutzes des Lebens“ in eine gänzlich neue und mit linken Werthaltungen vereinbare Form, die diesem Autoritarismus in einem bisher nie dagewesenen Ausmaß zur Akzeptanz verhilft.
Gesundheit als militärisches Dispositiv
Zu sagen, die sogenannten Corona-Schutzmaßnahmen hätten dem Schutz des Lebens gedient, ist ungefähr so sinnvoll wie zu sagen, das Pentagon diene dem Schutz des Lebens. Die Aussage ist nämlich nicht ganz falsch. In der Logik ihrer Erfinder ist sie sogar richtig. Diese Logik entstammt einer militärischen Denkweise, die sich im Rahmen eines Komplexes von supranationalen Netzwerken entwickelt hat, die wir kaum kennen und viel zu wenig beachten. In diesen Netzwerken verbinden sich internationale Organisationen wie die WHO, GAVI, CEPI oder die Eco Health Allianz, Megastiftungen wie die Rockefeller Foundation oder die Bill & Melinda Gates Foundation und – oftmals dem Militär angegliederte – Forschungseinrichtungen wie das Center for Health Security der Johns-Hopkins-Universität, ein Komplex, der meist und etwas euphemistisch als Public-Private–Partnership bezeichnet wird und den ich in Anlehnung an Simon Elmer als Global Biosecurity State bezeichne. Dabei ist wichtig zu verstehen: Die Nationalstaaten sind Ausführende der Konzepte des Globalen Biosecurity-Staates, sie sind nicht selber die Akteure.
Die Medical School der Johns Hopkins University in Baltimore.Jerry Jackson/imago
Das Gesellschaftsbild dieses militärischen Dispositivs besagt in etwa, dass Probleme der Gesellschaft nicht primär politischer Natur sind, sondern als eine Frage der Sicherheit aufgefasst werden müssen und ausschließlich technologischer Lösungen bedürfen. Zu den zu bewältigenden Bedrohungen gehören soziale Unruhen ebenso wie natürliche Viren oder Bioterrorismus. Es gibt in diesem System keinen Unterschied zwischen gesellschaftlichen Konflikten und Naturereignissen, da beide nach denselben Antworten verlangen.
All-Hazard Approach oder One Health heißt das dann in der Biosecurity-Sprache: Egal ob es sich um die Eindämmung von Viren oder Aufständen handelt, beides sind Sicherheitsrisiken, die die Gesellschaft in ihrem Zusammenhalt bedrohen. Da man aber Risiken vorbeugen will – das Stichwort hier ist All-Hazard Preparedness – und Risiken per definitionem immer existieren, ist dieses Paradigma auf Dauer gestellt. Es gibt kein „danach“, da dieses bereits wieder ein „davor“ ist: „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie“, und so soll es auch sein. Es geht bei One Health – also der Vorstellung, dass sich Biosecurity um die Interaktion zwischen Mensch, Tier und Umwelt in Einem zu sorgen habe – somit um eine biotechnologische Neufassung dessen, was eine in dieser Logik veraltete Gesellschaftstheorie einmal „Gesellschaft“ genannt hat, und zwar unter dem Aspekt der „Gesundheitssicherheit“. Biosecurity ist Militär im Gewand der Gesundheit.
Seine Wurzeln hat das Biosecurity-Konzept in eben jener Einrichtung der Johns-Hopkins-Universität, die 1998 als Center for Civilian Biodefense Studies gegründet und 2003 in Center for Biosecurity umbenannt wurde, bevor es 2013 seinen heutigen, weniger militärisch klingen Namen Center for Health Security erhielt. Die hier zugrunde liegende Vorstellung von Sicherheit geht auf das Ende des Kalten Krieges zurück. Wie Paul Schreyer dargelegt hat, war man sich im Umfeld des US-amerikanischen Militärs einig, dass zukünftige Gefahren weniger von Kriegen einer der USA gegenüber feindlichen Nation ausgehen würden als vielmehr von inneren Gefahren wie Terrorangriffen, Seuchen oder auch biologischen Unfällen, die als gesundheitliche Katastrophen die nationale Sicherheit insgesamt bedrohen könnten. In diesem Denkstil wurzelt jene eigentümliche Mischung von Militär- und Gesundheitspolitik, wie wir sie in der Corona-Zeit kennengelernt haben: Dem Biosecurity-Denken ist eine Wahrnehmung der Bevölkerung eigen, welche diese im selben Zug als zu beschützend wie als Quelle der Gefahr wahrnimmt.
Biosecurity als Management der Krise der Kapitalakkumulation
Es scheint nun, dass dieses Biosecurity-Dispositiv gleich auf mehreren Ebenen das zur Verfügung stellt, was der krisengeschüttelte Kapitalismus der Gegenwart braucht. Oder anders formuliert: Dieses Dispositiv gerät in eine gewisse Passförmigkeit zu den Krisenbewältigungsstrategien des Spätkapitalismus. Diese Krise hat viele Aspekte, die jedoch alle um ein Hauptproblem kreisen: Der Kapitalismus befindet sich seit geraumer Zeit in einer säkularen Stagnation, in deren Folge Gewinne in der produzierenden Industrie kaum mehr anhaltend zu erzielen sind. Da die Gewinne pro produzierter Stückzahl infolge der Rationalisierung laufend abnehmen, bleibt nur die Volumenausweitung der Produktion. Da wir aber irgendwann mit Handys eingedeckt sind, für einen zweiten Kühlschrank vielleicht noch Verwendung finden, aber nicht für sieben, stößt diese Volumenausweitung irgendwann an eine nicht nur ökologische Grenze. Marx nannte das den „tendenziellen Fall der Profitrate“.
Produktionsstätte für Corona-Impfstoffe.Xander Heinl/imago
So haben wir es seit den 1960er-Jahren mit einer stetigen, jeweils nur immer für kurze Zeit unterbrochenen Abnahme der Produktivitätszuwächse zu tun, und nur mit diesen Produktivitätszuwächsen können Kapitaleigner Gewinne erwirtschaften. An dieser Zuwachs-Schwäche ändert auch die sogenannte Industrialisierung 4.0 nichts. Im Gegenteil, sie beschleunigt diese Tendenz, weil sie in ihrer rasanten Ersetzung der Arbeitskraft durch Technologie das Potenzial zu weiteren Produktivitätssteigerungen noch rascher ausgeschöpft haben wird.
Der Effekt dieser Stagnation der gesellschaftlichen Gesamtproduktivität ist, dass maßgebliche Gewinne heute eigentlich nur noch im hochspekulativen Finanzsektor zu erzielen sind, was sich in einer gigantischen Geldmengenausweitung seit der Finanzkrise 2008 niederschlägt, die keinerlei Basis mehr in der Realwirtschaft hat. Diese Spekulationsblase hat den Preis von im Hintergrund stets drohenden und immer größer werdenden Finanzkrisen, zu deren Bewältigung es dann wiederum ein autoritäres Krisenmanagement braucht.
Es ist jedoch zentral zu verstehen, dass Krisen aus der Perspektive von Kapitaleignern durchaus nützlich sind: Als kontrollierte Entwertungen – von Volkseigentum, aber auch von kleinerem Privateigentum – ermöglichen sie neue lukrative Anlagemöglichkeiten. David Harvey spricht in diesem Zusammenhang von einer eigentlichen Enteignungs-Ökonomie, die er „Akkumulation durch Enteignung“ nennt. So ist es eben auch ein großes Missverständnis zu glauben, dass die durch die Lockdowns global induzierte Wirtschaftsschrumpfung für die kapitalistische Produktionsweise eine Bedrohung darstellen würde; das genaue Gegenteil ist der Fall.
Für die Bevölkerung bedeutet all dies aber primär eine Absenkung des Lebensstandards. Und hier kommt das Biosecurity-Dispositiv zum Zuge. Es verwaltet die im Zuge solcher Absenkungen zu erwartenden Aufstände. Noch wichtiger aber ist, dass es uns eine neue Lebensweise vermittelt, indem es uns – und das war das Zentrale an den Lockdowns – an eine digitale Armut gewöhnt. Damit meine ich gerade nicht, dass den Armen in der Sahelzone der Zugang zum Internet fehlt. Ich meine umgekehrt, dass die digitale Lebensweise eine eigene Form der Verarmung darstellt, die nicht als solche erscheint, weil sie gleichzeitig links-ökologische Werthaltungen bedient: digitale Spaziergänge zum Schutz der Natur, 15-Minuten-Städte zum Schutz des Klimas, Schwimmen am Bildschirm zum Schutz der Strände. Die Digitalisierung ist in erster Linie eine Form der Verarmung, wie sie im globalen Süden schon seit Jahrzehnten in Gang ist und nun auch im globalen Norden Einzug hält: Was man sich in vielen Ländern des globalen Südens sowieso noch nie leisten konnte – Reisen, Arztbesuche, Bildung, Krankengymnastik –, soll nun auch bei uns durch die Billigvariante einer App ersetzt werden.
Absenkung des Lebensstandards im globalen Norden
Was das Biosecurity-Dispositiv in Bezug auf die Absenkung des Lebensstandards im globalen Norden leistet, kann in vier Punkten zusammengefasst werden.
Erstens: Als Gesundheitskonzept geht es bei Biosecurity in erster Linie darum, den wertschöpfungsschwachen Care-Sektor durch wertschöpfungsstarke, aus der industriellen Produktion stammende Produkte zu ersetzen. Anstelle der menschlichen Pflege treten technische Gerätschaften, die die Arbeitsintensität der Care-Arbeit durch ein industriell hergestelltes Produkt oder einen digitalen Service – z.B. eine Therapie-App – ersetzen, um so der Produktivitätskrise etwas entgegenzusetzen: Mit Geräten sind, wenigstens kurzfristig, noch Profite zu erwirtschaften, mit Care-Arbeit kaum. Im Gegenteil, es ist der stets wachsende Care-Sektor, der für die stagnierende gesellschaftliche Gesamtproduktivität verantwortlich ist. Und deshalb soll, so die Logik, in diesem Sektor die arbeitsintensive und somit wertschöpfungsschwache Hand- und Sorgearbeit durch hochtechnologisierte Abläufe ersetzt werden.
Ein Polizeiauto in München überprüft die Einhaltung des Infektionsschutzgesetzes. Sachelle Babbar/imago
Dies erklärt auch, warum zu Beginn der Corona-Krise nicht das Naheliegendste getan wurde, das wohl gleichzeitig der wirksamste Schutz für die Bevölkerung gewesen wäre: eine massive Investition in das Pflegepersonal, beispielsweise mit einer Verdoppelung der Budgetposten für die Pflege in allen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Geschehen ist das genaue Gegenteil: Krankenhäuser wurden auch während Corona geschlossen, Betten reduziert, Abteilungen zusammengelegt. Wir haben es, so betrachtet, mit einer aktiv betriebenen Personalschrumpfung im Gesundheitswesen zu tun, und nicht einfach mit einem Personalmangel. In diesem Sinn lässt sich sagen, dass die Corona-Maßnahmen unter der Ägide von Biosecurity ein gezielter technologischer Umbau, um nicht zu sagen: Angriff, auf den Care-Sektor darstellten.
Unmittelbar daran anschließend kann man zweitens Biosecurity in Anlehnung an Andrea Komlosy auch als Versuch interpretieren, die sogenannten MANBRIC-Technologien als neue Leittechnologie und Gesundheit als neuen Leitsektor eines neuen Akkumulationszyklus zu etablieren. MANBRIC steht dabei für medical, additive, nano-, bio-, robo-, info- und cognitive technologies, also jene Technologien, die im Rahmen von Biosecurity bevorzugt zur Anwendung gelangen. Diese Technologien erlauben zwar keine dauerhafte Lösung der Produktivitätskrise, aber doch Profite in gewissen Branchen für eine gewisse Zeit.
In diesem Zusammenhang stehen, und das wäre der dritte Punkt, die von dem Biosecurity-Komplex neu geschaffenen Produkte, die es für die Pandemievorsorge und -bekämpfung braucht. Amrei Müller hat herausgearbeitet, wie sehr dieser Komplex auch mit der Erfindung neuer Produkte einhergeht, die im WHO-Jargon PHEIC-Produkte heißen. PHEIC steht dabei für Public Health Emergency of International Concern, also ein Gesundheitsnotstand von internationaler Tragweite. Die Produktpalette für einen solchen PHEIC reicht von Tests und Schutzmaterial bis hin zu Medikamenten, vor allem aber geht es um Impfungen. Wichtig daran ist: Dies alles ist immer vorrätig zu halten, laufend zu adaptieren und für die ganze Weltbevölkerung zu produzieren. Ein enormes Wirtschaftsankurbelungsprogramm also.
Der wichtigste Punkt aber scheint mir, dass dieses Dispositiv eine sehr spezifische Form der Aufstandsbekämpfung durch Isolation und Manipulation der Wahrnehmung darstellt. Insbesondere geht es dabei auch um die Prävention von Aufständen: Isoliert vor dem Bildschirm und komplett verwirrt, wie wir durch die permanente Informationsflutung (die uns gleichzeitig immer unwissender macht) alle sind, ist es uns nicht mehr möglich zu formulieren, was eigentlich unsere Belange und Interessen sind. Das ist auch nicht mehr notwendig, denn eine Taskforce und ein Krisenstab haben längst die Artikulation unserer Bedürfnisse an unserer statt übernommen. Wenn es keinen Bereich des Politischen mehr gibt und Gesellschaft nur noch ein biotechnologisches Problem darstellt, dann braucht es auch keine politische Artikulation mehr.
Demonstration gegen alle Coronamaßnahmen wie die Maskenpflicht oder 2G und die mögliche allgemeine Impfpflicht in München, 2022.Alexander Pohl/imago
Autoritärer Kapitalismus mit linker Akzeptanz
Biosecurity scheint damit den Übergang von einem liberalen Modell des Kapitalismus zu einem restringierenden anzuzeigen. Wobei sich, und das ist das Neue an der heutigen Konstellation, der Autoritarismus dieser Restriktionen in der Mitte der Gesellschaft einer großen Akzeptanz sicher sein kann.
Angesichts dieses Dispositivs – und der bedingungslosen Unterstützung, die seine Ideologie von der überwältigenden Mehrheit der Linken bekommt, scheint die große Aufregung über „erschütternde“ Wahlergebnisse irgendwie den eigentlichen Punkt zu verfehlen: die Gefahr nämlich, die von diesem Konglomerat aus militärischem Denkstil, Schutzparadigma und Suspendierung des Politischen ausgeht.
Die eigentliche Gefahr scheint mir deshalb heute weniger von rechts auszugehen, als von dieser an sich schon schwer verständlichen und daher kaum greifbaren Gemengelage von linken Werthaltungen, Kapitalinteressen und supranationalen, westlich-kapitalistischen Netzwerken, die sich unter dem Dispositiv von Biosecurity zusammengefunden haben: Eine Gefahr, die sich unter dem Vorwand des „Schutzes des Lebens“ und dem Appell an die Solidarität als linkes Projekt zu tarnen vermag, obwohl es sich um den bisher in der Geschichte des Kapitalismus vermutlich umfassendsten Zugriff des Kapitals auf unser Leben handelt.
Machen wir den Bezug zum Beginn: Die Beschreibung der Entstehung einer neuen Regierungsweise ist keine Verschwörungstheorie. Begehen wir nicht den Fehler, uns aus Angst vor einem solchen Framing jeglicher Möglichkeit zur kritischen Gesellschaftstheorie zu berauben. Dies nämlich würde heißen, dem Denkstil von Biosecurity zu folgen, der die Gesellschaft längst durch etwas rein Biotechnologisches ersetzt haben will.
Tove Soiland ist Historikerin. Sie ist Mitbegründerin von Linksbündig, einer politischen Organisation aus der Schweiz, die sich der Aufarbeitung der Coronakrise aus einer dezidiert linken Perspektive widmet. Ebenso ist sie Mitglied des Kollektivs Feministischer Lookdown.
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