Überraschungen in Kathmandu

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Überraschung 1

Ich hab mich grad hingesetzt, einen mit Cardamom-Tee  gefüllten Pappbecher in der Hand, den mir Sujri spendiert hat. Er und seine beiden Freunde Sakri und Minion (ja er hat das mehrmals exakt so ausgesprochen) sind Software-Engineers, alle je 25 Jahre alt. Die drei waren in meinem (extrem leeren) Flieger, wir hatten die 737 von Bangkok nach Kathmandu sozusagen für uns allein und mehr Glück als die 71 Passagiere, die jüngst im Januar in Nepal crashten, Juhu! Jedenfalls, freu ich mich gerade so ein bisschen in mich hinein, da meine Ankunft in Kathmandu ziemlich optimal  verläuft – gewisse organisatorische Dinge klappen nahtlos – und ich sogar gleich am ersten Abend beste Gesellschaft habe, die drei Jungs sind aufgeschlossen, intelligent und verdammt freundlich. Ich hätte fast geschrieben “gut erzogen”, aber passt vielleicht nicht so ganz, denn Sujri erzählt mir später, dass er von seiner Mutter, die bei der Polizei arbeitete, regelmäßig mit dem Schlagstock verdroschen wurde und schmunzelt dabei, seine rehbraunen Augen leuchten. Es ist verblüffend, aber ich bin in diesem Momentes überzeugt davon, dass es bei ihm keine bleibenden Schäden hinterlassen hat – er wirkt auf mich durch und durch stabil, er ist der kraftvollste der Drei, der mit einem ruhigen Schalk im Nacken zu sagen scheint, wir habens auch ordentlich drauf angelegt., damals. – wie auch immer – “Schlagstock” ist dann jedenfalls das Stichwort für Überraschung 1, denn gerade berührt der Hosenboden meiner “Lucky-Jeans” den staubigen Steinklotz, als plötzlich ein merklicher Ruck durch die anwesende Gruppe von Menschen geht. Ich blicke auf und sehe, wie ein Polizist mit langer Gerte unterm Arm sich anschickt, den Platz zu räumen. Erinnerungen an Berlin werden wach, wobei ich dazu sagen muss, so schöne lange Schlagstöcke, die auch noch ziemlich deutlich benutzt aussehen, haben die Drecksbullen in Berlin nicht. Ich bin jedenfalls gewissermaßen in Alarmbereitschaft, auch weil ich mit dergleichen überhaupt nicht gerechnet hatte – es ist gerade mal 21 Uhr und die Stimmung war friedlich, ganz schön ungewohnt so eine zeitige Sperrstunde. Ja, so sei das hier und ich solle auch besser darauf achten, mich nicht in irgendwelchen Pulks aufzuhalten, wenn irgendwelche Demos oder sowas laufen würden, da solle ich mich besser fernhalten, denn die Bullen würden dann einfach alles kurz und klein schlagen und das könnte dann auch schon mal nen Unbeteiligten erwischen. Ok, weiß ich Bescheid. Sujri und die Jungs ziehen nochmal an ihren Kippen und dann gehen wir bald weiter, besser is das.

Überraschung 2

Überraschung 2 ist für mich nicht wirklich eine Überraschung, aber vielleicht doch für den ein oder anderen da draussen. Denn ich erfahre von den drei jungen Nepalesen, dass sie die gleiche Diskrepanz zwischen erlebter und medialer Realität wahrgenommen haben in den letzten drei Jahren, wie ich. Es gab so gut wie keine Toten zu beklagen, wenn überhaupt, habe die Angst und Panik die Menschen um ihr Leben gebracht, sagt Sakri. Am schlimmsten seien die Lockdowns gewesen, die hätten viele Menschenleben gekostet. Überrascht bin ich davon nicht, denn das gleiche erzählten mir auch Menschen in anderen Ländern, die ich bereiste.

Überraschung 3

Ich muss, während ich hier am Darba Platz in einer der Pagodenbauten sitze, 15 Meter weiter ein paar Nepalesen mit Gitarre nepalesische Lieder schmettern und das Unesco Weltkulturerbe durch die Beleuchtung in ein angenehmes Gold getaucht zu sein scheint, kurz überlegen, was Überraschung 3 war. Aber dann fällt es mir ein: Ich war von dem Gemüsehändler überrascht, der mit  auf die 50 NPR für zwei Bananen noch 25 NPR Wechselgeld zurückgab. Naja, ich gebe zu, es war vielleicht nicht komplett überraschend, aber doch schon ein bisschen, ich habe mich in Anbetracht der sonstigen Erfahrungen hier sehr über die Ehrlichkeit gefreut. Kathmandu ist durchaus sehr stark von Armut gekennzeichnet ist und viele Menschen sind unterwegs, irgendwie ein wenig Geld zu machen. Und nicht alle Geister, die unterwegs sind, sind dabei vertrauenswürdig, einige sehr durchtriebene  Wesen, die sicherlich nicht mein Wohl als ihre oberste Priorität hatten, sind mir hier bereits begegnet. Es ist hier halt so, wie überall: Licht und Schatten, aber die wahrnehmbaren Farbtöne sind teilweise sehr krass und unverblümt. Insgesamt hat mich vielleicht sogar die Dunkelheit hier überrascht und weniger die Ehrlichkeit des Bananenverkäufers. Viele Augenpaare schauen hier gar nicht mal so nett drein, dafür einige aber um so freundlicher und offener. Muss wohl – wie alles – an meinem Mindest liegen.

Überraschung 4

Die Heftigkeit der Stadt, die nicht funktionierenden Mobility Apps, der irrsinnige Straßenverkehr, die über-dreist verhandelnden Fahrer, die schiere Unmöglichkeit hier einen leisen Aufnahmeraum zu finden für meine Apolut-Podcasts – so einiges hat den heutigen Tag durchaus anstrengend gemacht. Auch das Essens-Angebot ist hier durchaus bescheidener als in Bangkok, insgesamt ist das schon ein ganz anderer Vibe hier in Kathmandu, das war mir klar und gewünscht, aber ich brauche ein wenig Zeit, mich umzustellen und bin auch ein wenig aufgeregt, denn der Entschluss, hier ganz alleine mit dem Motorrad Richtung Berge loszufahren kommt wohl eher aus dem Ungewissen, denn aus meinem Verstand. Was mache ich hier überhaupt? Schätze heben natürlich. Ich bin ein Schatzsucher, soviel ist mir inzwischen klar geworden. Und statt heute  – nach der ganzen Erschöpfung und auch hier und da ein bisschen Frust, weil eben nicht alles perfekt lief – einfach zu duschen und ins Bett zu gehen, entschliesse ich mich noch raus zu gehen, habe ein wenig Sorge im Gepäck, als ich die Tür meiner Unterkunft abschliesse. Werde ich wohl etwas Gutes zu essen finden? Der Burger gestern hat zwar meinen Magen nicht zerfickt, aber wirklich doll war der nicht. Ich habe hier sonst bisher kaum etwas gespottet, das übermäßig einladend aussah. Ich gehe automatisch wieder in die Richtung des Restaurants von gestern, mein Gastgeber hatte es empfohlen, vermutlich weil die Betreiber zur Familie gehören, aber rein gehe ich nicht. Stattdessen setze ich mich da vorne hin, setze mich einfach hin und schaue in die Landschaft. Viele Menschen laufen die Straße entlang, Touristen gibts hier kaum, in Patan, diesem Stadtteil. Aber diese beiden sind Touristen, zwei Mädels, vermutlich Europäerinnen, die eine sagt zur anderen “there is always a little bit of fear in this”, während sie an mir vorbei gehen und sie betreten das Restaurant. Ich nicht. Ich gehe nochmal zu diesem Patan Darbar Square entschliesse ich mich und dann: die Überraschung.

Fast das erste Gebäude auf der linken Seite hat drei beleuchtete Treppenstufen. Ich stehe davor und sehe ein großes Plakat, auf welchem irgendwas mit “Nachos” geschrieben steht. Ich lese nochmal langsam – und tatsächlich, hier scheint es Nachos zu geben. So ganz kann ich mir das bildlich noch nicht vorstellen, aber ich gehe die Treppenstufen hoch und betrete einen hellen Raum mit einem länglichen Tresen. Ein Nepalese steht dahinter, der andere davor und wir begrüßen uns freundlich. Nachos? frage ich und ja klar, Nachos, die machen wir selbst, alles frisch, schau mal. Und dann sehe ich abgepackte Papiertüten voller Nachos, zwei große Kisten mit unterschiedlichen Nachos aber vor allem sehe ich einen riesigen Mörser mit frischer Guacamole darin! LECKER! Daneben noch eine Schale mit roter Salsa, sofort lässt man mich alles probieren und erklärt mir, dass es sich bei den dunkleren Nachos um ein bestimmtes nepalesisches Getreide handelt und diese besonders beliebt seien. Die sind echt verdammt lecker! Aber die hellen aus Mais sind NOCH besser, haben einen Hauch von Käsegeschmack und ich lasse mir eine Tüte davon und ne großzügige Portion Guacamole und Salsa einpacken.

Kurz darauf sitze ich am Square, ein heißer Tee wird mir augenblicklich serviert und ich beginne seelig zu mampfen – und danach – zu schreiben. Mit einem so großartigen Abendessen – den besten Nachos meines Lebens! – hatte ich tatsächlich nicht gerechnet.

Überraschung 5

Dieses Mal ist es nicht 21 Uhr, sondern ca 20 Uhr, als etwas Überraschendes passiert: 2 LKWs fahren direkt hier auf den Platz, beladen mit Ziegelsteinen. Direkt fangen Arbeiter damit an, diese Ziegelsteine abzuladen und aufstapeln – der ganze Platz ist seit dem verheerenden Erdbeben 2015 ziemlich verwüstet und wird – offenbar auch nachts – wieder aufgebaut. Dann kommen noch ein paar Jungs mit einem Fahrrad auf die Szene und füllen massenweise Wasserkanister auf, mit denen sie anschließend das Fahrrad beladen. Ich fotografiere das ganze und überrasche mich am Ende des Tages mit einem kleinen Text, den ich jetzt hochlade und damit vielleicht meine Schreibblockade erstmal überwinde. Gute Nacht.


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