Ein Essay in Zeiten zunehmender Kühle
Ich habe oft darüber nachgedacht, wie merkwürdig still eine Beziehung werden kann, lange nachdem sie vorbei ist. Nicht still im Sinne von Frieden, sondern still wie eine zugefrorene Wasseroberfläche – glatt, kalt, trügerisch klar. Unter ihr aber bewegen sich Strömungen, die niemand sieht. Und ich stehe am Rand und frage mich: Wie spricht man zu einem Menschen, der über Eis antwortet?
Es gibt Tage, an denen ich glaube zu verstehen, warum sie mich meidet. Vielleicht hat sie Angst vor der Vergangenheit, vielleicht vor mir, vielleicht vor sich selbst, der eigenen Verantwortung. Aber dann gibt es Tage, an denen das Verhalten schlicht wie eine Wand wirkt: undurchlässig, unbeweglich, starr. Und ich bleibe davor stehen, ratlos und nicht gehört in meinem Wunsch, das gemeinsam Getragene zu verstehen und möglicherweise die Früchte eines Tages doch noch zu ernten für das viele ringen, kämpfen, zittern – auf dass am Ende doch noch alles Sinn ergebe, uns helfen möge, weiser zu werden, Erkenntnis aus all dem zu gewinnen.. Erlösung! Erlösung, die aber bislang partout nicht eintreten will.. und die deshalb auch mein Kind nicht erfahren darf, unerlöst bleibt er, unerlöst von der Schwere die zwischen seinen Eltern ist.
Es ist die Ohnmacht, die weh tut. Nicht die Ablehnung selbst, sondern das stille Nicht-Gehört-Werden des Herzenswunsches, die gemeinsame Geschichte doch noch zu einer Geschichte des Verstehens zu machen, den Dingen einen Sinn abgewinnen zu können – aber ich bleibe mit diesem Wunsch allein, der Traum ist nahezu ausgeträumt.
Ich bin Vater. Das ist der einzige Satz, der mir jeden Morgen eine Richtung gibt. Ich bin Vater, auch wenn unsere Kommunikation bröckelt wie Putz von einer Wand, auch wenn Entscheidungen an mir vorbeigetragen werden bei denen ich eigentlich gefragt werden sollte. Ich bin Vater, selbst dann, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Rolle von außen verkleinert oder ersetzt werden soll. Es gibt Tage, da stehe ich am Spielfeldrand und sehe meinem Sohn zu – und trotzdem fühle ich mich fremd in einer Welt, die einst meine war. Der Trainer, der neue Partner, steht dort, wo ich stand. Und mein Sohn spielt, lacht, rennt – vielleicht denkt er nicht über die Verschiebung nach, die mir wie ein Riss durch die Brust geht. Vielleicht spürt er aber doch, dass etwas unrund ist. Kinder spüren so etwas. Immer.
Ich habe gelernt, meine Worte zu wiegen, bevor ich sie schicke. Ich antworte nicht mehr aus dem Reflex des Verletzten. Ich antworte aus der Haltung des Erwachsenen, der sich weigert, in den Abgrund gegenseitiger Kränkungen zurückzusteigen. Manchmal fühlt sich das an wie ein ständiger Balanceakt: zwischen Klarheit und Gelassenheit, zwischen Standhalten und Loslassen. Aber jedes Mal, wenn ich meinem Sohn in die Augen schaue, weiß ich wieder: Ich mache das nicht für sie. Ich mache es für ihn. Und vielleicht auch ein Stück für mich.
Manchmal frage ich mich, wie es so weit kommen konnte. Wie zwei Menschen, die einst gemeinsame Träume teilten, heute nicht einmal mehr ein Gespräch teilen können. Ich trage meine Verletzungen nicht wie Trophäen vor mir her, aber ich tue auch nicht so, als wären sie nicht da. Das habe ich nie getan und ich bin stolz darauf, dass mein Herz so ist wie es ist: verletzlich und durchlässig. Die Kontaktaufnahme mit meiner Familie hinter meinem Rücken bei gleichzeitig aufrecht erhaltener Distanz zu mir, die falschen Vorwürfe auf politischer Ebene in Zeiten zunehmender Desinformation und Propaganda, die Entscheidung, mich als Mensch auf Distanz zu halten – es sind Narben, die kein Vorwurf heilen kann, aber auch keine Rechtfertigung wieder gut machen könnte.
Und doch: Ich habe aufgehört, sie als Aggression gegen meine Person zu lesen. Heute sehe ich darin Muster. Schutzstrategien. Vielleicht sogar Angst. Ich weiß es nicht. Und ich muss es auch nicht wissen, denn meine Aufgabe ist nicht, sie zu verstehen. Meine Aufgabe ist es, mich selbst nicht zu verlieren.
Mein Sohn wird eines Tages verstehen, was Integrität bedeutet. Dass es bedeutungsvoll ist, den Schmerz nicht mit Pillen zu verdrängen. Dass es auch bedeuten kann, zu verreisen, um den Blick auf das Leben wieder zu klären. Er weiss, wie sehr ich ihn liebe, er kennt mein Herz. Irgendwann oder auch schon jetzt versteht er, dass ich standgehalten habe – nicht in Härte, sondern in Liebe.
Ich bin nicht perfekt. Ich bin manchmal wütend. Manchmal erschöpft. Manchmal zweifle ich. Aber ich gebe nicht auf. Nicht die Hoffnung, nicht die Beziehung zu meinem Kind, und nicht mich selbst. Vielleicht ist das der Kern dieser Übergangszeit: zu begreifen, dass Vatersein nicht davon abhängt, wie man behandelt wird – sondern wie man antwortet.
Und so schreite ich weiter über das Eis, das sie zwischen uns gezogen hat. Und lerne, darauf in der Sonne zu tanzen.
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